Ein gebürtiger Nackenheimer
Über den 27. Dezember 1896 steht in Carl Zuckmayers Autobiografie: „Es war ein Sonntagabend, drei Tage nach Weihnachten, als ich in dem rheinhessischen Dörfchen Nackenheim zur Welt kam, in dem mein Vater eine kleine Fabrik für Weinflaschenkapseln betrieb.“ Wir befinden uns in diesem rheinhessischen Dorf und treffen uns vor dem Rathaus mit Bardo Kraus, dem Archivar der Carl-Zuckmayer-Gesellschaft. Er bringt uns heute das Leben des berühmten Schriftstellers nahe, das hier seinen Anfang nahm.
Dazu spazieren wir zunächst in Richtung Ortsrand und gewinnen langsam, aber sicher an Höhe. Bardo Kraus zeigt uns Zuckmayers Geburtshaus. Es liegt mitten im Gelände der ehemaligen Kapselfabrik, die sein Vater leitete, und die später von der Familie von Opel erworben wurde.
Im Jahr 1900 verlegten die Zuckmayers ihren Wohnsitz nach Mainz, blieben Nackenheim aber immer verbunden. Im Laufe seiner Kindheit und Jugend verbrachte Carl viel Zeit rheinaufwärts, deshalb sei es wenig verwunderlich, dass das ländliche Leben in Rheinhessen sein künstlerisches Schaffen prägte, erzählt Kraus.
Nackenheims rote Erde
Wir folgen ihm hinauf in die Weinberge und finden uns nicht viel später auf dem RheinTerrassenWeg wieder. Bardo Kraus ist gerne hier. Er liebt den fantastischen Ausblick auf den Fluss, nach Nierstein und in Richtung Horizont. Diesen Blick habe Carl Zuckmayer früher schon genauso gehabt, nur führte der Rhein damals mehr Wasser.
1920 zog es den inzwischen 24-Jährigen an die Spree. Als Volontär und Regieassistent fasste er in der Berliner Theaterwelt Fuß. Sein erstes Drama „Kreuzweg“ wurde allerdings nach nur drei Tagen abgesetzt. Wir erfahren, dass man in Nackenheim trotz Misserfolg dennoch gerne daran denkt, spielt das Drama doch „zwischen dem Mond und der Nackenheimer roten Erde, wo der gute Rheinwein herkommt“, wie es ein Freund Zuckmayers einst ausdrückte. Auf dieser Erde, genauer gesagt auf dem Rothenberg, stehen wir gerade. Die rötliche Färbung des Bodens ist typisch für diesen Rheinabschnitt und wir denken an den berühmten „Roten Hang“ im benachbarten Nierstein, mit dem fantastischen Ausblick vom Brudersberg.
Im „Fröhlichen Weinberg“
Wir passieren die Nackenheimer Bergkapelle, die im 18. Jahrhundert zunächst als Weinbergshäuschen gebaut und später zum Gotteshaus umgewandelt wurde. Bardo Kraus erzählt uns die vielschichtige Geschichte rund um Carl Zuckmayers Durchbruch.
Am 22. Dezember 1925 wurde sein Lustspiel „Der Fröhliche Weinberg“ im Theater am Schiffbauerdamm uraufgeführt. Im Zentrum der Handlung, zahlreicher Verwicklungen und Missverständnisse stehen der Weingutsbesitzer Jean Baptiste Gunderloch und seine Tochter Klärchen. Sie soll sich mit dem hochnäsigen und habgierigen Studenten Knuzius verloben, verliebt sich aber stattdessen in den mittellosen Schiffer Jochen.
Für Zuckmayer stand „Der Fröhliche Weinberg“ für Spaß, Volkstum und Heimatliebe. Ausgerechnet aus seiner Heimat aber erfuhr er keinerlei Gegenliebe. Obwohl das Theaterstück zu den erfolgreichsten der Weimarer Republik zählt, war man in Nackenheim außer sich. Hier sahen sich die Bewohner als rückschrittlich, einfältig und unmoralisch dargestellt.
Wir befinden uns unmittelbar über den Dächern des Ortes. Bardo Kraus zeigt auf ein Weingut, das ganz besonders erzürnt war: Gunderloch. Auch wenn Zuckmayer stets beteuerte, dass die einzige Parallele zwischen seiner unmoralischen Hauptfigur und dem echten Winzer der Nachname sei, fühlte sich Carl Gunderloch diffamiert und persönlich beleidigt. In Rheinhessen war man nicht gut auf den Schriftsteller zu sprechen.
In Berlin hingegen stieg Zuckmayer in die erste Riege der Theaterautoren auf. Das Drama „Der Hauptmann von Köpenick“ krönte 1931 den Erfolg des Nackenheimers. Es ist das Lieblingsstück von Bardo Kraus. Gerne würde er es selbst einmal aufführen, dazu müsse er aber noch an seinem Berliner Dialekt arbeiten.
In tiefer Verbundenheit
Während wir langsam zurück in den Ort spazieren erfahren wir von dem wohl dunkelsten Kapitel im Leben Carl Zuckmayers. Nach der Machtergreifung der Nazis wurden seine Werke 1933 mit einem Aufführungsverbot belegt, 1939 wurde er aus Deutschland ausgebürgert und entzog sich nur knapp einer Verhaftung, indem er zunächst in die Schweiz floh und schließlich mit Frau und Tochter in die USA emigrierte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte Carl Zuckmayer nach Europa zurück. Nackenheim strebte die lange überfällige Versöhnung an und ernannte den Schriftsteller 1952 zum Ehrenbürger. Wir stehen vor dem Weingut Gunderloch und erfahren, dass auch hier – trotz einiger Opposition – inzwischen alles vergeben und vergessen ist.
In den 60er und 70er Jahren war Zuckmayer immer wieder Gast in Nackenheim. Bardo Kraus munkelt, dass daran nicht zuletzt die gute Nackenheimer Fleischwurst schuld sein musste, von der er scheinbar ein großer Liebhaber war. 1971 wurde die örtliche Schule anlässlich seines 75. Geburtstags in Carl-Zuckmayer-Grundschule umbenannt. Daran kann sich Kraus bestens erinnern, denn er hat den berühmten Schriftsteller dort endlich persönlich gesehen. Am 18. Januar 1977 starb Carl Zuckmayer in der Schweiz. Auf seinem Grab liegt ein roter Stein vom Nackenheimer Rothenberg.
Zuckmayer in Nackenheim erleben
Wir beenden unseren Spaziergang vor der Carl-Zuckmayer-Büste an der Fassade des Rathauses, ein Werk der Künstlerin Ursula Bertram. Zur feierlichen Enthüllung wurde „Der Fröhliche Weinberg“ durch das Laienensemble der Carl-Zuckmayer-Gesellschaft aufgeführt. Seitdem findet jedes Jahr auf dem Rathausplatz eine mundartliche Aufführung statt.
Am 18. sowie am 25. August könnt Ihr selbst auf den Spuren Carl Zuckmayers wandeln und an verschiedenen Stationen mehr über das Leben und Wirken des gebürtigen Nackenheimers lernen. Auf Anfrage sind auch Führungen außerhalb dieser Veranstaltung möglich.