Elmar Rettinger ist seit 1980 Gästeführer der Stadt Mainz. Seit nunmehr zehn Jahren bietet er Gutenberg-Kostümführungen an, um Geschichte auf lebhafte Art und Weise zu vermitteln. Ich habe ihn getroffen und gefragt, was ihn an der historischen Person reizt, wie er sich im Kostüm fühlt und was die Wirkungsstätte seines Alter Egos so charmant macht.
Auf den Leib geschneidert
Auf dem Weg zu meinem Treffen mit „Johannes Gutenberg“ begegnet mir der größte Sohn der Stadt Mainz bereits in Form seines überlebensgroßen Denkmals auf dem Gutenbergplatz. Erhaben wacht er über das quirlige Treiben zu seinen Füßen. Ich schlendere am imposanten Kaiserdom vorbei in Richtung Gutenberg-Museum, in dem die ganze Welt von Druck, Buch und Schrift auf mich wartet. Genauso wie ein spannendes Gespräch mit dem Historiker und Gästeführer Elmar Rettinger.
Er verkörpert seit rund zehn Jahren den Mann, der im 15. Jahrhundert mit beweglichen Lettern, einer Druckerpresse und etwas Druckerschwärze die herkömmlichen, aufwendigen Methoden der Buchproduktion revolutionierte. Und damit die Weitergabe von Wissen und den Zugang zu Bildung demokratisierte. Für meinen Gesprächspartner ist seine Kostümführung als Gutenberg eine tolle Möglichkeit, diese Geschichte möglichst lebendig und anschaulich zu transportieren.
Elmar Rettinger verrät, dass er zunächst eher zufällig in die Rolle des Buchdruckers schlüpfte. Im Rahmen eines wissenschaftlichen Projektes wurde für das 15. Jahrhundert typische Kleidung geschneidert und er durfte damals als Projektleiter Modell stehen. Erst im Anschluss daran habe er die zündende Idee gehabt: „Ein Kostüm schenkt besondere Aufmerksamkeit und so kam ich dazu, dies für meine Gästeführungen umzusetzen.“
Samt und Seide
Dem studierten Historiker ist Authentizität besonders wichtig. „Man muss schon aufpassen, wenn man so ein Kostüm herstellt“, gibt der Gästeführer zu bedenken. Im Vorfeld habe er ausgiebig recherchiert, wie sich Patrizier einst kleideten, denn ein solcher war Johannes Gutenberg. Hochwertige Materialien wie Naturseide und schwerer Samt, aufgebauschte Ärmel mit „merkwürdigen Schlitzen“ und markante Schnabelschuhe sind allesamt Teil seines Ensembles. „Besonders die Schuhe finden alle sehr schick“, merkt er amüsiert an.
Ich erkenne schnell, dass Elmar Rettinger die Gabe hat, geballtes Geschichtswissen in spannende Fakten zu verpacken. Etwa als er von den gedeckten Farben seiner Robe erzählt. Grelle Kleidung sei ausschließlich dem Adel und Lila der Geistlichkeit vorbehalten gewesen. Selbstverständlich trage er während seiner Stadtführungen auch keine Uhr, es müsse schließlich authentisch sein. „Wenn die Gäste interessiert sind und Fragen stellen, dann schaut man aber auch gar nicht auf die Uhr. Dann macht es einfach Spaß, ihnen etwas zu erzählen“, sagt er.
Vom Kirschgarten und dem Kirschen essen
Und er erzählt gerne: „Ich will über die Zeit damals informieren. Wer war der Chef in der Stadt, wie waren die sozialen Verhältnisse und warum war Mainz so hoch verschuldet?“ Natürlich drehen sich seine Führungen auch um das Leben und Wirken von Johannes Gutenberg selbst. Elmar Rettinger sucht mit seinen Gruppen alle Orte auf, die mit ihm verbunden werden. Dabei startet er hier im Gutenberg-Museum – selbstverständlich mit einer Demonstration der Druckerpresse – und führt einmal komplett durch die Altstadt.
Sowohl beruflich als auch privat liebt der Gästeführer vor allem die Mainzer Plätze. Und davon hat die alte Handelsstadt viele. Seien es die vier belebten Domplätze, der zentrale Schillerplatz oder der wunderschöne Kirschgarten mit den historischen Fachwerkhäusern, die zum Teil noch aus der Zeit Gutenbergs erhalten sind. „Es sind die Plätze in Mainz, die diese Stadt so charmant machen“, schwärmt Elmar Rettinger.
Während unseres Gesprächs über Johannes Gutenberg verfällt er immer wieder in die Ich-Form. Er muss lachen, als er das bemerkt, und versichert mir, dass er schon wisse, dass er nicht der Echte sei: „Ich bin ein ganz ruhiger Typ und Johannes Gutenberg war wohl ein sehr jähzorniger Mensch, ganz anders.“ Man wisse nur sehr wenig über ihn und das Wenige vor allem aus Gerichtsprotokollen. „Mit ihm war zum Teil gar nicht gut Kirschen essen und vielleicht ist es das, was mich an der Rolle reizt“, gibt der Gästeführer zu.
Der doppelte Gutenberg
Zornig wie sein Alter Ego wird der kostümierte Elmar Rettinger aber nie, denn eigentlich fühlt er sich in dem schweren Mantel gar nicht so anders als sonst. Auch sei es in Mainz überhaupt kein Problem, ein Kostüm zu tragen, stellt er schulterzuckend fest. Im Gegenteil: „Die Mainzer sind das von der Fastnacht hier gewöhnt.“ Immer wieder freue er sich sogar über herzliche Begrüßungen und große, staunende Kinderaugen.
Nicht schlecht staunten sicher auch die Teilnehmer zweier Gruppen, als sie eines schönen Tages plötzlich doppelt sahen. Der Gästeführer muss lachen, als er mir seine Lieblingsanekdote erzählt. Ein Kollege habe ebenfalls ein Kostüm und an jenem Tag seien sich zufällig zwei Johannes Gutenberg über den Weg gelaufen. Er hält kurz inne. Vielleicht müsse er sich überlegen nach Straßburg zu gehen, denn dort habe der Buchdrucker schließlich auch ein paar Jahre gelebt. Schnell aber schüttelt er den Kopf: „Die haben möglicherweise auch schon ihren eigenen Gutenberg.“ Elmar Rettinger bleibt Mainz also noch lange erhalten!
Eure Gutenberg-Kostümführung durch Mainz
Neben der spannenden Gutenberg-Kostümführung, die Ihr auf dieser Seite buchen könnt, deckt Elmar Rettinger auch viele weitere Stadtführungen von der Römerzeit über die Zeit des Nationalsozialismus bis in die heutige Zeit ab. Nachdem ich den charismatischen Historiker und Gästeführer getroffen habe, bin ich mir sicher, dass jede einzelne ein lebendiges Erlebnis ist.