Exkursion ins Grün der Auen
Daher heißt dieser Landstrich auch Inselrhein oder die Rheinauen. In den angrenzenden Stillwasser-Bereichen, Feuchtwiesen, Schilfflächen und Obstwiesen finden zahlreiche, teils seltene Tier- und Pflanzarten den für sie perfekten Lebensraum. Unsere Autorin Marina Noble nimmt Euch mit auf eine Exkursion. Dabei besucht sie auch das NABU-Zentrum Rheinauen.
Es singt, zwitschert, trällert und zirpt. In der Ferne ruft ein Kuckuck. Im dichten Laub können sich die vielen Vögel gut verstecken. Doch hier hüpft eine Bachstelze, dort stiebt ein Eichelhäher-Pärchen davon. Im Rhein ziehen Schwäne ihre Bahnen. Es flattern Libellen und Schmetterlinge. Einfach schön! Wir sind unterwegs im Naturschutzgebiet „Fulder Aue – Ilmen Aue“, ein besonderes Fleckchen Natur. Mit üppigem Grün, ursprünglichen Pappeln und Weiden, mannshohen Schilffeldern kommt sogar etwas Dschungel-Feeling auf.
Ein von Menschen geschaffener Lebensraum
Wie ist dieser Lebensraum entstanden? Wir haben uns auf den Ausflug vorbereitet und nachgelesen, um die Entstehung des Inselrheins zu verstehen. Hilfreich dafür waren die verschiedenen Broschüren und Online-Informationen des NABU. Also zunächst ein bisschen Geografie: Ab dem Binger Loch fließt der Rhein durch ein enges Tal mit harten Felsen. Für die Schiffer war dieses Gebiet mit seinen Stromschellen früher das gefährlichste des ganzen Stroms. Die Engstelle staute das Wasser auf. Daher floss der Rhein zuvor nur noch sehr langsam. Dies führte dazu, dass sich Kies, Sand und Schlick ablagerte. Es entstanden Inseln, die teils wieder verschwanden – und wieder neu entstanden.
Auch diese sich ständig verändernden Tiefen – und Untiefen – bedeuteten für die Schifffahrt ein echtes Problem. Die Waren mussten im Mittelalter sogar an Land weiter transportiert werden – auf Treidelpfaden. Diese wollte man sichern und auch die sich stetig verändernden Wassertiefen regulieren. Dafür legten die Menschen Leitwerke, das sind Steindämme, an. Diese teilen den Rhein noch heute in einen tiefen Bereich mit weitgehend gleichbleibender Wassertiefe, wie sie die Schiffe brauchen, und in einen Stillwasser-Bereich, in dem die Pegel ständig schwanken.
Dieses Stillwasser mit seinem wechselnden Hoch- und Niedrigwasser bedeutete für manche Tiere und Pflanzen einen Glücksfall. Sie spezialisierten sich auf diese Bedingungen und fühlen sich bis heute dort wohl – ein von Menschen geschaffener neuer Lebensraum. Dieser ist seit Anfang der 70er Jahre als ein in verschiedene Bereiche gegliedertes Naturschutzgebiet ausgewiesen.
Überwinterungs-Quartier und Rastplatz auf dem Weg gen Süden
Besonders wohl fühlen sich dort gefiederte Freunde: Seit dem 19. Jahrhundert wurden 234 verschiedene Vögel nachgewiesen – dies sind die Hälfte aller in Deutschland vorkommenden Arten. Dazu zählen am Wasser Zwergtaucher, Kormorane und sogar der bunte Eisvogel; in den Auenwäldern Nachtigall, Pirol und Kleinspecht. Besonders viele sind in der kälteren Jahreszeit zu Besuch, denn die Auen sind für sie ein Überwinterungs-Quartier. Andere rasten hier auf ihrem Weg gen Süden. Experten sprechen von einem „Trittstein des Vogelflugs“.
Kompakte Einblicke im NABU-Zentrum Rheinauen
Den Schutz dieses besonderen Lebensraums hat sich das NABU-Zentrum Rheinauen zum Ziel gesetzt. Es ist im Frühjahr 2022 auf ein neues Gelände in Bingen-Gaulsheim umgesiedelt. Dort wollen wir uns einen Überblick verschaffen. Freundlich begrüßt uns Karin Czichy, die schon lange Jahre mitarbeitet und auch die ehrenamtlichen Unterstützer betreut. Sie bringt die Mission der Facheinrichtung auf den Punkt: „Auf einer kompakten Fläche von 1,7 Hektar spiegeln wir die Tier- und Pflanzenwelt des Inselrheins wider. Auf dem Gelände sowie bei Veranstaltungen und Aktionswochen informieren wir über die Natur in diesem Lebensraum. Dabei wollen wir aufzeigen, wie man sich verhalten soll und allgemein Fragen zur Natur beantworten.“
Herzstück ist das 500 Quadratmeter große Infozentrum. Pappelholz verkleidet seine Fassade. Karin Czichy erzählt: „Dies ist eine für die Gegend typische heimische Weichholzart, dich sich durch schnelles Wachstum auszeichnet. Erst ein spezielles Trockenverfahren konnte sie für den Bau nutzbar machen. Unser begrüntes Dach bildet einen eigenen Lebensraum und das abfließende Regenwasser speist unser Sumpfbeet.“ Im Zentrum betreuen die Mitarbeitenden einen Infopunkt und stehen dort für Fragen und Führungen zur Verfügung.
Bei unserem Besuch unter der Woche hat das Café Auenblick nicht geöffnet. Schade, denn die Karte klingt verlockend: selbstgebackener Kuchen, Muffins und Waffeln, alles zu vernünftigen Preisen. „Die Zutaten stammen alle aus der Region und sind möglichst Bioprodukte“, betont Karin Czichy. Der Kaffee kommt von der bio-zertifizierten Binger Rösterei Klingler.
Nun aber raus ins barrierefreie Gelände, auf dem es überall blüht und summt. Auf einer Wiese grasen drei Ziegen. Die vier Zwergschafe – die weiße Grace sowie die braunen Mari, Juna und Armelle – haben sich gerade in ihre Hütte zurückgezogen. Sie stammen von der bretonischen Insel Ouessant und helfen, die Wiesen und Grünflächen zu „mähen“.
Manche mögen´s kahl
Es gibt ganz unterschiedliche Teiche: Manche mit üppiger Vegetation, andere eher kahl. Karin Czichy weiß warum: „Die Tiere haben ganz unterschiedliche Anforderungen und dem werden wir gerecht“. Spärlich bepflanzt ist der Erlebnisteich, denn so mögen es der Laub- und Wasserfrosch sowie die Kreuzkröte.
Im Teich der Sumpfschildkröten erhalten Exemplare der südeuropäischen Art eine Heimat. Karin Czichy erzählt schmunzelnd eine Geschichte: „Bei uns heimisch ist ursprünglich die europäische Sumpfschildkröte. Diese war im Mittelalter so weit verbreitet, dass sie in den Klöstern sogar als Fastenspeise verzehrt wurde. Die Mönche waren sehr erfinderisch, wenn es darum ging, das Fleischverbot zu umgehen: Fische und sogar Kröten galten nicht als „Fleisch.“ Später wurden die Europäischen Schildkröten immer weniger, mittlerweile vermehren sich die Tiere wieder. Gleichzeitig verbreitete sich die südeuropäische Art, die aufgrund ihrer Genetik in unseren Breiten nicht gern gesehen ist. Solche Exemplare erhalten im NABU-Zentrum „Asyl“.
Pflanzen-Vielfalt = Schmetterlings-Vielfalt
Ein weiterer spannender Bereich ist den Schmetterlingen gewidmet. Die Bestände dieser beliebten und oft farbenprächtigen Insekten sind in den letzten Jahren stark zurückgegangen, da ihre Lebensräume schwinden. Der NABU zeigt, wie wichtig ganz unterschiedliche Futterpflanzen für die Tiere sind. Das Motto lautet: „Pflanzen-Vielfalt = Schmetterlings-Vielfalt“. Hier arbeitet gerade Johannes, der das Zentrum als Freiwilliger unterstützt. Er zeigt uns am Beispiel der Brennnessel, dass diese für die Nesselfalter, wie Admiral, Kleiner Fuchs und C-Falter überlebenswichtig ist. Der orange-farbene Feuerfalter hingegen bevorzugt Sauerampfer und Knöterich. Im kleinen Gewächshaus lädt Johannes uns ein, genau hinzuschauen: Kaum erkennbar entwickelt sich dort eine Schmetterlings-Raupe.
NABU-Zentrum Rheinauen, www.NABU-Rheinauen.de
Öffnungszeiten: DI bis FR 9:00 bis 16:00 Uhr (außer an Feiertagen) sowie SO 14:00 bis 18:00 Uhr. Montags für Besucher geschlossen.
Café Auenblick: SO während der regulären Öffnungszeiten.
Dies kann sich ändern – am besten schaut Ihr vorab nochmal auf die Website.
Die Website liefert auch einen Veranstaltungskalender und informiert über die Aktionswochen. Auf dem Programm stehen z.B. regelmäßig Rheinauen-Spaziergänge und Schiffsexkursionen zur Vogelbeobachtung im Europareservat Rheinauen. Für Kinder gibt es Angebote wie Keschern im Teich, Glühwürmchen Wanderung.
Auf dem Erlebnispfad durch die Auen
Das NABU-Zentrum Rheinauen grenzt an das Naturschutz-Gebiet „Fulder Aue – Ilmen Aue“. Das 341 Hektar große Gebiet ist Teil des Europa-Reservats Rheinauen. Den Namen stiften die beiden vorgelagerten Inseln im Rhein. Die Fulder Aue war früher im Besitz des Klosters Johannisberg, das Anfang des 18. Jahrhunderts der Abtei Fulda unterstellt war – dieser Name blieb. Die Ilmen Aue war früher mit Ulmen bewachsen – diese Bäume wurden damals Ilmen genannt.
Ein Tipp für eine kompakte Erkundung ist der rund vier Kilometer lange Erlebnispfad mit Infotafeln. Der Startpunkt liegt rund 1,5 Kilometer vom NABU-Zentrum entfernt – das ist gut zu Fuß oder mit dem Rad zu bewältigen. Alternativ gibt es dort einen Parkplatz. Tipp: Ladet Euch die App Naturerbe Inselrhein herunter (s. Infokasten). Damit ist der Weg durch die Natur einfach zu finden, denn es gibt keine Markierung – also ein bisschen ein Geheimtipp.
Sehr informativ ist die App “Naturerbe Inselrhein”:
Sie bietet
– Informationen über das Schutzgebiet Naturerbe Inselrhein und das NABU-Zentrum
– eine interaktive Karte für Wanderer, Radfahrer, Wassersportler, Angler
– Naturbeobachtungstipps und Routenvorschläge
Pappel la papp und Storchen-Nester
„Pappel la Papp“ heißt es gleich zu Beginn. Die Infotafel liefert Wissenswertes zu den häufigsten Baumarten in den Auen wie den Pappeln. In luftiger Höhe ruhen später Storchen-Nester auf zwei Masten – von Menschen geschaffene Nisthilfen für die Weißstorche. Diese finden in den angrenzenden Feuchtwiesen reichlich Nahrung: Frösche, Mäuse, Regenwürmer, Insekten. Einst galt der Weißstorch als ausgestorben. Als sich in den 1990er Jahren das erste Storchenpaar ansiedelte, war dies eine Sensation. Heute sind sie regelmäßig zu Gast.
Tiere erobern die Brückenreste
Am Kehrpunkt des Wegs erheben sich die Überreste der Hindenburgbrücke. Mit ihren einst über 1000 Metern Länge galt die 1915 fertiggestellte Eisenbahnbrücke als die zweitlängste in Deutschland. Das nach dem einstigen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg benannte Bauwerk wurde im 2. Weltkrieg zerstört. Übrig blieben Reste an Land und zwei Pfeiler im Rhein. Diese hat mittlerweile die Natur erobert – ein Lebensraum für Vögel, Reptilien, Fledermäuse. Auf den Pfeilern brütet die Weißkopf-Seemöve.
Überall entlang des Wegs sprießt üppig das Grün – urtümlich und ursprünglich, so dass bei uns ein bisschen Dschungel-Feeling aufkommt. Die Auenwälder galten früher als geheimnisvolle Orte, in denen Hexen leben sollten. Die Weiden nannten die Menschen gar Baum der Trauer und des Todes. Imposante Längen erreichen die Blätter des Huflattichs: fast eine Armlänge. Bis zu vier Meter in die Höhe reckt sich das Schilf. Die Tafel „Halm an Halm“ vermittelt Wissenswertes über diese Pflanzenart.
Was hat Loriot mit den Rheinauen zu tun?
Sicher kennt Ihr den Komiker Loriot. Was hat er mit den Rheinauen zu tun? Dies erklärt uns eine weitere Infotafel: Der hier vorkommende Vogel Pirol wird im Deutschen auch „Vogel Bülow“ und im Französischen „Loriot“ genannt. Der Humorist heißt mit bürgerlichem Namen Vico von Bülow und wählte die französische Version als seinen Künstlernamen. Der Vogel lebt versteckt in den Bäumen. So ist er trotz seines auffälligen Gelbs im Gefieder des Männchens selten zu sehen. Wir werden unser Glück erneut probieren!
NABU Rheinhessen-Nahe
Auch in anderen Regionen Rheinhessens helfen Angebote des NABU, die Natur zu erkunden. Schaut auf der Website: https://www.NABU-rheinhessen.de/termine
Dort findet Ihr unterteilt in die Regionen Alzey, Bingen, Bad Kreuznach, Mainz, Rhein-Selz und Worms beispielsweise Vogelstimmen-Wanderungen; Exkursionen zu Tieren wie Fledermäusen, Graureihern oder Amphibien; Erklärungen zu Streuobstwiesen (z.B. „Äpfel mit Birnen vergleichen“ in Nierstein-Schwabsburg) oder „Wanderfalken und Mauersegler am Wormser Dom“; zudem Arbeitseinsätze und Pflanzentausch-Börsen. Manche Angebote sind speziell für Kinder konzipiert.