Im Innern einer raumhohen Blackbox erstrahlen unbezahlbare Bibeln, bewacht von Sicherheitstechnik wie in einem James Bond-Film. Die Logos von Instagram und Fotos von Germany´s Top Model treffen auf historische Illustrationen und Schriftstücke. Mit der Medienkarte gibt´s ein Selfie. Die neue Interims-Ausstellung Gutenberg-Museum MOVE hat viele Facetten. Im Mittelpunkt stehen das Leben und die Erfindungen des Mannes, der vor über 550 Jahren die Medien revolutionierte und die Welt veränderte. Unsere Autorin Marina Noble erfährt bei einem Rundgang auch, warum Bücher früher weiße Flecken hatten und was ein Drucker-Kuss ist.
Eine mannshohe Statue der Hauptfigur zeigt: Hier geht´s rein in die Ausstellung Gutenberg MOVED. Diese hat im linken Teil des Naturhistorischen Museums in der Reichklarastraße ein vorübergehendes Zuhause gefunden. Dort begrüßt uns herzlich der Museumsdirektor Dr. Ulf Sölter. Der Rheinländer, der seit 2022 das Gutenberg-Museum leitet, lässt es sich nicht nehmen, uns eine Einleitung zu geben. Gleich stellt er klar: Die Ausstellung hier im ehemaligen Klarissenkloster ist auf Jahre angelegt, bis der Neubau des Museums fertiggestellt ist. Daher wurde einiges investiert. Rund 15 Millionen Euro sind in Sanierung der Räume, die Ausstellung selbst und Transporte geflossen.
„Weniger ist mehr“ lautet der Grundsatz: Von der großen Sammlung, die das Museum besitzt, zeigt es hier auf rund 1000 Quadratmetern Fläche nur ausgewählte Stücke. Ulf Sölter betont: „Wir wollen visuell Wissen vermitteln, das mit Aktualität und vertrauter Bildsprache Zugang zum Leben der Menschen hat. Das Museum soll Spaß machen.“ Auch den Namen MOVED haben er und sein Team wohl überlegt gewählt: Dieser vermittelt physische Bewegung und Umzug, der dorthin sechs Wochen gedauert hat. Gleichzeitig steht er für Aufbruch und Bewegung – das Museum wollte sich neu erfinden. Last but not least die Botschaft: Gutenberg hat die Welt bewegt.
Gutenberg - ein Revolutionär?
Zumindest hat er eine Medien-Revolution ausgelöst. Zuvor gab es nur handgeschriebene oder in kleinen Auflagen gedruckte Bücher. Durch Gutenbergs neues Verfahren konnten Bücher schneller, billiger und in größeren Mengen hergestellt werden. Dies machte sie mehr Menschen zugänglich. Viele konnten sich informieren, bilden und eine Meinung entwickeln – mit Auswirkungen auf die ganze Gesellschaft. Es wurde möglich, dass Ideen wie die Reformation oder Demokratie sich verbreiten. Die herausragende Leistung Gutenbergs ist dabei nicht die Erfindung des Buchdrucks. Vielmehr hat er den komplexen Prozess des Buchdrucks in vielen Bereichen optimiert, auf einander abgestimmt und alltagstauglich gemacht.
Die Ausstellung geht über Gutenberg hinaus und eröffnet Einblicke in die weite Welt der Buch-, Druck und Schriftkunst. Diese reicht von Papier und Buchbindung bis zu Schrift und Typographie. Spannend, dass auch Misserfolge zu sehen sind, also Verfahren, die keinen Erfolg hatten. Immer wieder wird deutlich: Drucken war und ist auch zum Geldverdienen. Dies gilt in den Anfängen und heute.
Die Menschen früher haben gar nicht so anders getickt
Nun aber los: In einem großen Gewölberaum geht es um „Mediengeschichte(n)“. Hier hatte früher das Naturhistorische Museum die Quaggas, eine ausgestorbene Unterart des Steppenzebras, untergebracht. Jetzt strahlen an den Wänden vertraute Logos von Instagram, Youtube und twitter kombiniert mit historischen Motiven. Wir lernen, dass die Menschen früher gar nicht so anders getickt haben. Sie hatten nur andere Möglichkeiten und Medien.
Das zeigen sechs Themeninseln: Die Menschen wollten schon immer ihre „Welt beschreiben“. Früher erstellten sie dafür Chroniken, druckten Stadtansichten und Schriftsteller schrieben Reiseromane. Heute haben wir Reiseblogs, Zeitschriften und Google Maps. Druckerzeugnisse konnten und können der Aufklärung dienen, aber auch der Propaganda.
Auch ging es schon immer darum, etwas anzugeben, ums „Pracht entfalten“. Dafür wurden Bücher damals mit Blattgold, farbiger Schrift und Illustrationen „gepimpt“. Eine coole Smartphone-Hülle und ein edler Füller stehen für die Status-Symbole unserer Zeit. Um das „Image pflegen“ ging es schon immer bei aufwändig inszenierten Hochzeiten – bis heute. Auch Selfies, Casting Shows wie „Germany´s next Top Model“ und ganz allgemein Social Media dienen dem eigenen Image.
Medienkarte für mittelalterliches Selfie
Viel Food for Thought! Beim Erkunden der einzelnen Stationen hilft die „Medienkarte“. Das DIN A5-Blatt mit integriertem Chip aktiviert Infostationen und ist Projektionsfläche für Animationen. Auch kann jeder Besucher damit ein Selfie aufnehmen, das ihn/sie in die Kulisse einer mittelalterlichen Druck-Werkstatt hineinprojiziert. Ausgedruckt auf das Papier der Medienkarte oder als Download per QR-Code ist dies eine schöne Erinnerung zum Mitnachhause-Nehmen.
Wir gehen weiter zum Herzstück der Ausstellung: Im ehemaligen Speisesaal des Klosters erhebt sich raumhoch eine Blackbox, ein schwarzer, stählerner Kubus. Im Innern leuchtet eine Glasvitrine. Darin liegen vier Büchern: drei der berühmten Gutenberg-Bibeln aus der Zeit um 1454 und ein Messbuch mit unterschiedlichen Schriften.
Für Direktor Sölter ist das Betreten des Raums jedes Mal wieder ein „spiritueller Moment“, denn es geht um Zeugnisse der Weltgeschichte. Natürlich erhalten diese ganz besonderen Schutz: Mit einem „Binnenklima“ für möglichst geringe Temperaturschwankungen und mit Sicherheitstechnik „wie in einem James Bond-Film“.
Zu den Lieblings-Exponaten des Direktors zählen die Blockbücher hinter der Blackbox. Für diese bearbeiteten Schnitzer pro Seite einen Holzblock. Machten sie einen Fehler, war alle Arbeit umsonst. Korrekturen waren nicht möglich. Es gab im Buchdruck also auch Erfindungen, die sich nicht durchgesetzt haben. Und: „Die Blockbücher sind ein Bespiel, dass es bei uns nicht nur um Gutenberg geht“, erklärt Ulf Sölter.
Gutenberg ein Phantom?
Ein bisschen schon. Nicht einmal sein genaues Geburtsdatum ist bekannt – irgendwann um das Jahr 1400. Ursprünglich hieß er wohl Johannes Gensfleisch zum Gutenberg. Das „zum Gutenberg“ stammt von seinem Geburtshaus. Denn damals war es üblich, den Geburtsnamen um den Namen des Hausbesitzes zu ergänzen oder ganz zu ersetzen.
Niemand weiß, wie Gutenberg ausgesehen hat. Das erste Portrait entstand erst rund 100 Jahre nach seinem Tod. Es war reine Fiktion, so stellte man sich einen Patrizier vor. Gleich am Eingang der Ausstellung hängen vier solcher Portraits.
Bildreise führt nach oben
Selbst das Treppenhaus wird bei Gutenberg MOVED zum Erlebnis. An den Wänden nehmen die Zeichnungen des Illustrators Jörn Kaspuhl mit auf eine „Bildreise durch die Geschichte“. Der Zeitstrahl startet 1400 in der Zeit Gutenbergs. Daran reihen sich chronologisch wichtige Stationen des Gutenberg-Museums ein und berühmte Mainz-Besucher wie die Queen (1978), Gorbatschow (1994), George W. Bush (2005) bis jüngst Angela Merkel und Bundespräsident Steinmeier.
Drucker-Kuss und weiße Flecken
Im ersten Stock gibt es zwei Druckwerkstätten für Vorführungen. Hier zeigt uns Tobias Gebhardt, gelernter Off-Set- und Buch-Drucker, die Praxis von Anno-Dazumal. Mit einer historischen Presse fertigt er eine Seite. Als er das Papier von der Druckform löst, ertönt ein lautes Schmatzen – dieses Geräusch heißt Drucker-Kuss. Gedruckt wurde damals nur in Schwarz und mit weißen Flecken. In diese Aussparungen ergänzten später Buch-Maler und -Illustratoren Farben und Bebilderungen. Die Berufe waren damals viel arbeitsteiliger als heute.
Ein weiteres Aha-Erlebnis bringt die Vitrine zur Buchbinderei. Zu Gutenbergs Zeiten wurden Bücher ungebunden verkauft. Die losen Seiten bearbeitete dann ein weiterer Beruf: der Buchbinder. So konnte der Käufer den Einband, meist ein mit Leder bezogener Holzdeckel, individuell gestaltet lassen. Prägungen und Beschläge verzierten die Unikate.
Gutenberg – ein Start-Up?
Eindeutig ja. Gutenberg hatte ein Ziel: Er wollte Drucken, wie die Mönche geschrieben haben. Dafür haben er und sein Team mit allen Teilen des Druckprozesses experimentiert, um sie zu optimieren: Vom Metall der Lettern bis hin zur Druckerpresse. Wie ein Start-Up haben sie getüftelt, Rückschläge erlitten und weitergetüftelt. Dafür brauchte Gutenberg Geld, hat Kredite aufgenommen und Teilhaber beteiligt.
Kurzfilme im Kino und Workshops im Druckladen
Nebenan im Kino laufen zwei Kurzfilme, die viele Themen des Museums rund um Johannes Gensfleisch zum Gutenberg vertiefen. Noch einen Stock höher lädt der Druckladen ein, mit Vorabanmeldung das Drucken selbst auszuprobieren. Unter den Motiven finden wir viele bekannte wie den Dom, Mainz 05 oder die Mainzelmännchen. Mit Erklärungen und dem eigentlichen Drucken dauert das Erlebnis rund eine Stunde und ist auch für Kindergeburtstage beliebt.
Auf dem Rückweg stoppen wir am 3D-Stadtmodell von Mainz. Es zeigt die Stadt im 15. Jahrhundert und die Wirkungsstätten Gutenbergs. Auch hier bleibt die Ausstellung ihrem Motto treu: Beleuchtungen und Audio-Erzählungen lassen es lebendig werden. Zum Abschluss lohnt es, ein bisschen im hellen Museums-Shop zu stöbern. Dieser ist neben der Kasse in einem eigenen Pavillon untergebracht.
Ausstellung Gutenberg-MOVED
- im Naturhistorischen Museum in der Reichklarastraße 1, Mainz
- Öffnungszeiten: täglich 9:00 bis 18:00 Uhr (donnerstags bis 20:00 Uhr)
- Eintritt: 10 €, Kinder 4 € (inkl. Eintritt naturhistorisches Museum)
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