Das Wandern im November neu entdeckt

Inhaltsverzeichnis

Wandern bei Sonnenschein kann jeder!

Die Wetter-App zeigt bewölkt und regenfrei am Vormittag. OK, das muss fĂŒr eine kleine Wanderung reichen. Ausgangspunkt ist der kostenfreie Parkplatz am Nickelgarten am Ortseingang von Westhofen in nördlicher Richtung. Besonders fĂŒr Wohnmobilurlauber zu empfehlen, die gerne einen Abstecher in der Weinbaugemeinde machen möchten und von hier aus direkt in die Weinberge zu einer Wanderung starten wollen.

Von der Kommandozentrale ĂŒbers Chinesiche Heisje zum Liebesnest

Nun geht`s los! Nur wenige Meter nach dem Ortsrand eröffnet sich der Blick auf die Gemarkung von Westhofen, in der man schon von weitem einige der unterschiedlichsten WeinbergshĂ€uschen – liebevoll auf Rheinhessisch: „Wingertsheisjer“, erkennen kann. Die Wege sind gesĂ€umt von Zypressen, die der Landschaft „Rheinhessische Toscana“ alle Ehre verleihen. Ich kenne den Weg von einer Sommerwanderung und habe keine besondere Flora und Fauna im November erwartet. Aber ich sollte eines Besseren belehrt werden! Der Nebel liegt ĂŒber Westhofen und die Sonne kĂ€mpft sich langsam durch die dicken Wolken und zaubert eine mystische Stimmung in die Landschaft. Gut ausgeschildert, mit dem Logo „Westhofener Wingertsheisjer Wanderweg“, folge ich den Graswegen stetig bergan.

Das nasse Gras im November fordert schnell die Wasserfestigkeit der Wanderschuhe heraus – also auf gutes Schuhwerk im Herbst achten! Schon ist das erste Wingertsheisje „Rosa Heisje“ in Sicht. An jedem Zwischenziel ist ein Schild, mit kurzen Informationen zur Namensgebung und Geschichte, installiert. Ein QR-Code ergĂ€nzt fĂŒr Neugierige mit interessanten Anekdoten rund um die Heisjer. Diese dienten einst als Unterstand fĂŒr die Weinbergsarbeiter, manchmal auch fĂŒr GerĂ€te. Unterschiedliche Baustile und Materialien zeigen die bauliche Vielfalt der insgesamt 54 SchutzhĂŒtten rund um Westhofen. Der Ursprung des Ă€ltesten Bauwerks reicht bis ins Jahr 1766 zurĂŒck. Entlang der beschilderten Tour sind insgesamt 14 davon zu bestaunen.

Rosa Heisje
Juliusturm
Galle
Kommandozentrale
Ausgezeichnetes Heisje
Chinesisches Heisje

Die WeinbergshĂŒtten sind in den unterschiedlichsten Formen entlang der Wege zu finden. Manche sind in den Hang gebaut, eines hat sogar zwei RĂ€ume. Der Name verrĂ€t meist das typische Merkmal des Unterschlupfes. Auf der Suche nach Fotomotiven entdecke ich die Überreste einer kleinen Weinverkostung, die als Stillleben in einer HĂŒtte zu finden ist.  Es gibt immer etwas zu entdecken.

Stillleben

Natur pur – sattes GrĂŒn im November

Der Weg fĂŒhrt grĂ¶ĂŸtenteils ĂŒber Graswege, vorbei an Böschungen, Treppchen und einem Hohlweg. Der Morgentau liegt auf den sattgrĂŒnen Wegen und Wingertszeilen. Die Tautropfen perlen an der wildwachsenden „Pimpinelle“ (Poterium sanguisorb L.) ab und laden zum Fotografieren ein. Das frische GrĂŒn der „Brennnessel“ (Urtica urens L.) erinnert an FrĂŒhjahr. Die Idee ist geboren: Ich möchte Euch an meiner „Novemberwanderung fĂŒr alle Sinne“ in Westhofen teilhaben lassen


Pimpinelle“ (Poterium sanguisorb L.)
„Brennnessel“ (Urtica urens L.)

Mit wachem Blick halte ich Ausschau nach schönen Fotomotiven in der diesigen Novemberlandschaft. EingesĂ€te GrĂŒndĂŒngungen bringen farbenprĂ€chtige „Ringelblumen“ (Calendula officinalis) hervor, die mit ihren intensiven Orange- und Gelbtönen die Sonne in die Landschaft zaubern und jeden trĂŒben Gedanken vertreiben. Ich bin ĂŒberrascht, wie intensiv die Farben in der eigentlich tristen Jahreszeit leuchten. Auch die „Malve“ (Malva arborea) strahlt stolz in den Zeilen und blĂŒht, was das Zeug hĂ€lt. Sogar ein „Löwenzahn“ (Taraxacum campylodes) steht einsam am Weg, als hĂ€tte er sich in der Jahreszeit geirrt.

„Ringelblumen“ (Calendula officinalis)
„Malve“ (Malva arborea)
„Löwenzahn“ (Taraxacum campylodes)

Der „Gewöhnliche Natternkopf“ (Echium vulgare L.) hat sich auf einer Mauer als Nektarlieferant fĂŒr allerlei Insekten ausgebreitet. Am hĂ€ufigsten sieht man die sehr dekorative „Gemeine Kratzdistel“ (Cirsium vulgare). Ihr intensiver purpurfarbener BlĂŒtenstand strahlt hĂ€ufig am Wegesrand. FĂŒr einen Blumenstrauß nicht zu empfehlen – echt kratzig! Sie dient als Heilpflanze, genauso wie die „Edle Schafgabe“ (Achillea nobilis). Ein besonderer Hingucker ist der „Borretsch“ (Borago officinalis L.). Die Heilpflanze findet auch in der KĂŒche Verwendung und ist mittlerweile hĂ€ufig in unseren Weinbergen anzutreffen.

„Gemeine Kratzdistel“ (Cirsium vulgare)
„Borretsch“ (Borago officinalis L.)

Sehr bekannt ist die volkstĂŒmlich bekannte „Hagebutte“. Im FrĂŒhjahr ziert die rosafarbene „Hundsrose“ die Wege, im Herbst dient der rote Fruchtstand als beliebte Dekoration und beherbergt das altbekannte „Juckpulver“. FĂŒr Marmeladenfans lĂ€sst sich mit viel MĂŒhe eine leckere Hagebuttenmarmelade daraus zaubern. Der hohe Vitamin-C-Gehalt zeichnet die bekannte Heilpflanze aus. Eher unbekannt und versteckt lugt die violette BlĂŒte des „Moschus-Reiherschnabels“ (Erodium moschatum L.) vereinzelt zwischen der „Vogelmiere“ (Stellaria media) hervor und die „Weiße Lichtnelke“ (Silene alba) streckt mir unbeirrt ihre weißen BlĂŒten entgegen. Der Westhofener Themenweg hat heute fĂŒr mich einen ganz neuen Reiz entwickelt. HĂ€tte ich doch im November keine solch ĂŒppige Fauna erwartet; ich bin wirklich verblĂŒfft, was zu dieser Jahreszeit noch so alles blĂŒhen kann.

„Hagebutte“ oder „Hundsrose“ (Rosa canina)
„Moschus-Reiherschnabels“ (Erodium moschatum L.)
„Weiße Lichtnelke“ (Silene alba)

Zum Abschluss entdecke ich noch ein „Weißes MistsamthĂ€ubchen“ (Ungeniessbar!), das mir aus dem feuchten Gras stolz seinen weißen Hut entgegenstreckt. Herbstzeit ist Pilzzeit! Wunderschön anzuschauen!

„Weißes MistsamthĂ€ubchen“

Es liegt etwas in der Luft


Aber auch die Fauna schlĂ€ft noch lange nicht. Die Sonne hat sich mittlerweile durch die dicke Wolkendecke gekĂ€mpft und einige Wildbienen aus ihrer Deckung gelockt. Entlang der KirschbĂŒhl Hohl summen noch vereinzelt die Wildbienen an den Öffnungen der steilen Lehmwand. Was mag hier wohl im FrĂŒhjahr oder an warmen Sommertagen los sein? Man kann es nur erahnen! Ein Schild klĂ€rt den Wanderer ĂŒber die Lebensweise der harmlosen Insekten auf und weckt das Interesse sich nĂ€her zu informieren.

KirschbĂŒhl-Hohl

Besonders eindrucksvoll ist das wilde Gezwitscher aus dem mittlerweile blattlosen GestrĂŒpp entlang der Feldwege. Die „Goldammer“ (Emberiza citrinella) zwitschert gerne lautstark ihr Lied bis in den Herbst hinein. Das MĂ€nnchen mit seiner prachtvollen gelben KopffĂ€rbung und der gelben Unterseite ist ein echter Hingucker und kann so bei den weniger farbintensiven Damen in der Vogelwelt punkten. Im Herbst und Winter sind sie im Trupp unterwegs, jedoch steht der Standvogel (fĂŒhrt keine saisonale Wanderung durch) auf der Vorwarnliste. In einem Hagebuttenstrauch tummeln sich mindestens zehn singfreudige Goldammern und sind von weitem nicht zu ĂŒberhören. Diese wunderschönen Vögel sind an sehr vielen Stellen des Wanderwegs zu beobachten.

Zum Abschluss gibt’s was fĂŒr SchleckermĂ€ulchen


Wenn die Traubenvollernter oder die fleißigen Traubenleser ihre Arbeit schon lange erledigt haben, reifen noch einzelne kleine Trauben nach. Jetzt ist die richtige Zeit hier noch ein paar Leckerbissen im Weinberg zu „stoppeln“ (sammeln). Das lassen sich die Vögel nicht entgehen und picken gerne die vereinzelten Trauben als Leckerbissen.

Nach der Lese: Leckerbissen fĂŒr die Vögel

Auf dem Weg durch Westhofen ist das „Kneippbecken“ ein Muss fĂŒr mĂŒde WanderfĂŒĂŸe! Mutige lassen sich nicht vom kĂŒhlen Novemberwetter abschrecken, regt es doch das Immunsystem an und aktiviert den Stoffwechsel.

Jetzt ist Zeit in eine der zahlreichen Straußwirtschaften in Westhofen einzukehren und ein leckeres Tröpfchen Rheinhessenwein zu genießen.

Viel Spaß bei der Wanderung und „Zum Wohl“!

Die wichtigsten Infos zum Wanderweg:
WeglÀnge: ca. 8,8 km
Beschaffenheit: ca. 80% Graswege
Nicht barrierefrei, ideal fĂŒr Walking und Wandern. Rucksackverpflegung und festes Schuhwerk empfohlen. Keine Einkehrmöglichkeit im Feld.
Viele RuheplÀtze mit schöner Aussicht in Richtung Odenwald und Donnersberg.
Die Wanderung kann ĂŒber zwei Routen durch den historischen Teil von Westhofen und zur Kneipp-Anlage ergĂ€nzt werden. Einkehr bei Winzern oder GaststĂ€tten möglich. Idealer Ausgangspunkt fĂŒr Reisemobile.

Informationen zu den Heisjen am Weg gibt es auf der Website WeinArtLand Wonnegau

Buchtipp: „Die 111 schönsten WeinbergshĂ€uschen in Rheinhessen“

12 Antworten

  1. Hallo Katja,
    herzlichen GlĂŒckwunsch zu deinem ersten Blogeintrag. Vielen Dank, dass du mich an deinen Wanderungen teilhaben lĂ€sst.
    Lg Simone

  2. Sehr interessanter Artikel, in Rheinhessen gibt’s irgendwo immer was zu entdecken! Und die WingertshĂ€usje sind wirklich attraktiv bei diesem Weg…

  3. Liebe Frau Zentel,

    was fĂŒr ein schöner Bericht ĂŒber den Westhofener Wingertsheisjer Wanderweg.
    Persönliche freue ich mich sehr, denn ich hatte die Ehre den Weg zu konzipieren, natĂŒrlich auch mit einer Gruppe, denn alleine geht es nicht. Alle Geschichten, Geschichten,etc. sind seit 2010 von mir erforscht und in den Weg eingeflossen. Heute betreue ich den Weg als Wegepate. Der SWR drehte 4 Filme darĂŒber.
    LG
    Michael Jung

    1. Hallo Herr Jung!
      Ich freue mich sehr, dass mein Bericht ĂŒber den Westhofener Wingertsheisjer Wanderweg Ihnen gefallen hat.
      Der Weg ist sehr gut ausgeschildert und gepflegt. Die Idee mit dem QR-Code zu der Geschichte des jeweiligen HĂ€uschens und netten Anekdoten finde ich besonders gelungen.
      Gerne werde ich den Weg zu einer anderen Jahreszeit auf ein Neues erkunden. Dankeschön, dass Sie als Wegpate Verantwortung fĂŒr einen wunderschönen Weg ĂŒbernehmen.
      Viele GrĂŒĂŸe aus Nierstein

  4. Hey Katja sehr schön geschrieben. Zusammen mit den Bildern habe ich wunderbare EindrĂŒcke gewonnen, die ich leider (noch) nicht aktiv machen kann, aber wer weiß…
    Danke fĂŒr die tollen Fotos und den gelungenen Text.

    1. Hey Ulrik,
      ein Teil der Wingertsheisjer erreicht man auch ĂŒber asphaltierte Wege – das erschließt barrierefreie Möglichkeiten fĂŒr gemeinsames erkunden!
      Schön, dass Dir der Blogartikel gefĂ€llt 🙂

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Schon immer in Rheinhessen lebend, kenne ich noch lange nicht alle Ecken meiner geliebten Heimat. Ich freue mich, wenn Ihr mich zukĂŒnftig bei meinen Neuentdeckungen begleitet.

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