Frisches Obst und Gemüse, größtenteils aus der Region, liebevoll drapiert und zum direkten Verzehr animierend, so kennt man Wochenmärkte im ganzen Land. Auch in Mainz, Worms und Ingelheim, um nur einige zu nennen, locken zunächst die Stände regionaler Landwirte mit ihren Produkten. Ich liebe die Atmosphäre von Wochenmärkten, diese Mischung aus Alltagshektik und Entschleunigung, wenn man sich von Marktstand zu Marktstand treiben lässt.
Wo man die Freuden des Lebens genießt
Auf dem Wormser Wochenmarkt biege ich um die Ecke, die Menschenmenge wird dichter und ich sehe die ersten Leute mit Weingläsern in der Hand. Mein Magen knurrt allmählich. Ein sachter Schulterstoß von rechts lenkt mich von meiner Suche nach dem „Worscht“-Stand ab. „Hey Meedsche, biste alloi hier? Setz dich zu uns, der Riesling ist super“, höre ich die Stimme eines gutgelaunten Mannes mit Zwirbelschnurrbart und Karo-Weste. Die Tatsache, dass ich mit fast vierzig Jahren nicht mehr ganz in die Kategorie „Mädchen“ passe, tut nichts zur Sache. Der Fokus liegt eher darauf, dass ich alleine unterwegs bin, denn in Rheinhessen ist man nicht alleine, in Rheinhessen ist man gesellig. Und genau das ist es, was das Marktfrühstück ausmacht.
Ich bin zum ersten Mal hin Worms und gleich mittendrin im MarktWinzer Treff. Von Anfang März bis Anfang November bieten Wormser Weingüter hier im Wechsel ihre Weine an. In der schönen Atmosphäre zwischen Dom und Dreifaltigkeitskirche findet das wöchentliche Marktfrühstück statt. Ich habe mir mittlerweile ein Glas des empfohlenen Rieslings geholt und auch die warme Fleischwurst mit Brezel liegt auf meinem Teller – nur den netten Mann mit der Karo-Weste sehe ich nicht mehr. Er ist in dem geselligen Trubel verschwunden. Aber das macht nichts. Vielmehr setze ich mich auf die Stufen des Siegfriedbrunnens und beobachte das fröhliche Treiben: Pärchen, Familien, kleine Gruppen unterhalten sich, lachen, genießen die Sonne und lassen sich den Wein schmecken. Das samstägliche Frühstück auf dem Markt ist ein Treffpunkt für alle, die einfach die Freuden des Lebens genießen wollen.
Genau das war auch die Idee des Mainzer Marktfrühstücks, das mittlerweile bis weit über die rheinlandpfälzischen Landesgrenzen hinaus bekannt ist und wöchentlich mehrere Tausend Leute anlockt. Ein Geheimtipp ist die Mutter aller rheinhessischen Marktfrühstücke längst nicht mehr. Wer aber samstags in der Mainzer Innenstadt unterwegs ist, sollte sich einmal in die Menschenmenge am Liebfrauenplatz stürzen und hautnah erleben, was Mainz ausmacht: Geselligkeit, Fröhlichkeit, Lebensfreude, Offenheit, Toleranz, Leckereien und guten Wein. Was einst als Thementag für junge Künstler begonnen hat und seit 1999 von den 26 Mitgliedern des Vereins der Mainzer Winzer e.V. veranstaltet wird, ist zu einer Tradition der ganzen Region geworden.
Längst hat das Marktfrühstück in der Landeshauptstad Nachahmer gefunden. Städte wie Worms und Ingelheim mit größeren Wochenmärkten, aber vor allem auch kleine Gemeinden wie Wörrstadt oder Horrweiler tragen die liebgewonnene Tradition auch zu den Menschen, die die Geselligkeit um „Weck, Worscht und Woi“ im kleineren, ruhigeren Rahmen genießen wollen. Für mich sind diese die wahren Geheimtipps.
Familiäre Geselligkeit in Wörrstadt
Ich verabschiede mich aus Worms und mache mich auf den Weg nach Wörrstadt. Hier findet seit vielen Jahren der Bauernmarkt Wörrstadt statt. Der kleine Markt ist gut versteckt. Denn anders als übliche Wochenmärkte ist er nicht auf dem Marktplatz der Gemeinde, sondern auf dem privaten Winzerhof der Familie Huth zu finden. Ein fröhlich lachender Rheinhesse aus Holz zeigt mir dieses Mal den Weg. „Samstags Obst und Gemüse aus der Region“ steht auf seiner Tafel und verweist damit gleich auf sein Credo: regional = optimal. Ich trete durch das weitgeöffnete Hoftor und stehe in der großen Halle des Familienbetriebes. Trubel herrscht auch hier, doch in einer vollkommen anderen, sehr familiären Atmosphäre. Statt Wein gibt es Kaffee, statt Fleischwurst frisch gebackene Waffeln. Hans-Willi Huth, der seinen Hof für den Markt zur Verfügung stellt, begrüßt die meisten Besucher persönlich, unterhält sich über die vergangene Woche, über Neuigkeiten im Ort. Aber es sind nicht nur die Bewohner von Wörrstadt, die ihren Bauernmarkt lieben. Es kommen Leute aus der ganzen Verbandsgemeinde und mittlerweile auch immer mehr Touristen, sagt Huth nicht ohne Stolz.
Ein kleiner Junge saust mit einem Rutsche-Auto an meinen Beinen vorbei. Für die kleinen Gäste steht großer Fuhrpark bereit, der zeigt, wie wichtig es den Veranstaltern ist, generationsübergreifend zu denken. Mit meiner Waffel setze ich mich an eine der Bierzeltgarnituren, die bei sonnigem Wetter schnell in den Hof getragen werden, und komme auch hier gleich ins Gespräch. Die meisten Besucher kommen schon Jahre hierher. Mit gefülltem Einkaufskorb, einer Tasse Kaffee und lecker duftender Waffel ist der Einstieg ins Wochenende ein ganz besonderer, sagen sie. Und in der Tat, der übliche Einkaufsstress im Supermarkt mit hektisch umherlaufenden Menschen, die sich eher anrempeln statt anlächeln – all das scheint auf dem Bauernmarkt Wörrstadt meilenweit entfernt. Hier hat man Zeit für Gespräche, für ein Miteinander und Beisammensein. Als ich den Hof verlasse, bin ich fast ein bisschen in Urlaubsstimmung.
Outdoor-Frühstück trotz tristem Wetter
Nach Urlaub fühlt sich das Wetter nicht gerade an, als ich mich bei leichtem Schneegestöber mitten im April auf den Weg zum Horrweiler Marktfrühstück mache. Ich bin gespannt, ob sich die rheinhessiche Geselligkeit auch bei ungemütlicher Witterung durchsetzt. Und in der Tat, der Platz um die alte Kelter ist gefüllt. Schlange stehen muss man heute in dem kleinen Weindorf in der rheinhessichen Toscana nicht, dafür gibt es die warme Fleischwurst mit Brötchen direkt auf die Hand und den Wein unverzüglich ins Glas. Es ist erst das dritte Mal, dass in Horrweiler ein Marktfrühstück stattfindet, doch die Begeisterung unter den Dorfbewohnern ist jetzt schon groß. Zusammensitzen, ein bisschen „babbele“, einfach die Gemeinschaft pflegen, das ist auch hier der Gedanke des Marktfrühstücks. Die Idee geht, wie bei den großen Vorbildern in Mainz oder Worms, auch in Horrweiler auf und so freut man sich schon auf das nächste Frühstück – „dann wahrscheinlich noch mit einem Käse-Stand und hoffentlich schönerem Wetter“, so Ortsbürgermeister Eckhard Siegfried.
Nieder-Olm – die Alternative für Langschläfer
Rheinhessische Marktfrühstücke, ob groß oder klein, sind wahrlich eine Besonderheit der Region. Die Idee ist denkbar einfach und so würde man vermuten, dass auch anderorts dieses Konzept aufgeht. Aber weit gefehlt. Ich spreche mit Helmut Bonengel, der alle sechs Wochen auf dem Nieder-Olmer Wochenmarkt seinen Stand aufbaut. Messer und Scheren schärfen, das ist seine Profession und Leidenschaft und so ist er mit seiner mobilen Werkstatt auf Märkten in ganz Deutschland unterwegs. „Die Rheinhessen sind schon ganz besondere Menschen. Diese Geselligkeit rund um ein Gläschen Wein findet man sonst in keiner Region“, so der Würzburger. Er freue sich schon lange im Voraus auf den Nieder Olmer Wochenmarkt und auf die netten Leute, die hier jeden Dienstag bei einem Schoppe und „Afterwork-Schwätzchen“ ihren Feierabend genießen.
In Nieder Olm gibt es kein Frühstück, denn der Markt beginnt erst um 14.00 Uhr. Er ist somit die perfekte Alternative für alle Wochenend-Langschläfer und für all diejenigen, denen der Trubel auf dem Mainzer Wochenmarkt zu viel geworden ist. Die Vielfalt der Stände, die ruhige Atmosphäre und der leckere Wein, längst ist der Markt nur unweit von Mainz zu einer kleinen Konkurrenz geworden.
Und auch ich lasse mir wieder ein Glas Riesling einschenken und stelle mich an einen der Stehtische. „Ganz alloi hier?“, fragt eine nette Stimme neben mir. Ich schmunzele und denke: Nein, in Rheinhessen ist man nicht allein.
4 Antworten
Ein schöner Bericht, der richtig Lust macht auf ein Markt-Frühstück!
Ja, die Rheinhessen sind besondere nette Menschen – sagt eine, die seit 35 Jahren in der Region wohnt und sich hier sehr wohlfühlt. 🙂
http://www.hoehfelds-hof.de
Danke für deinen netten Kommentar, Karin! Es freut mich, wenn ich dazu animieren kann, die rheinhessichen Marktfrühstücke zu besuchen.
Wunderbar geschrieben liebe Grüße vom Wormser Marktwinzer
Lieber Herr Lösch, danke für den netten Kommetnar und schöne Grüße nach Worms-Abenheim.