Rauf auf den Sattel und rein in die Natur – der Selz auf der Spur!

Inhaltsverzeichnis

Aktiv in der Natur – das ist immer gut, und so werde ich den ca. 68 km langen und sehr abwechslungsreichen „Selztal-Radweg“ entlang radeln. Wir starten in Orbis (erster Ort im Donnersbergkreis), hier beginnt ihr oberirdischer Verlauf. Jeder Rheinhesse hat schon ihren Namen gehört; die beliebte Namensgeberin für Straßen, Firmen, Vereine, Gebäude und sogar für eine Ortschaft in Rheinhessen: die Selz! Gemütlich plätschert sie vom Nordpfälzer Bergland quer durchs Rheinhessische Hügelland, bis sie schließlich beim nördlichen Ingelheimer Stadtteil Frei-Weinheim in den Rhein mündet. Entlang der Route soll es viel Natur und ganz besondere Bewohner geben… das möchte ich entdecken! Begleitet mich auf die Fahrradtour quer durch Rheinhessen entlang der Selz!

Unterwegs mit dem Frosch

Start an der Selzquelle in Orbis
Die Selzquelle in Orbis

Den Frosch im Blick starten wir in der kleinen Ortschaft Orbis. Die ersten Kilometer fließt der Bach beschaulich in Richtung Morschheim, was bereits zu Rheinhessen zählt. Wie ein grünes Band schlängelt sich der kleine Bach, von unzähligen Weiden am Ufer gesäumt, durch die Landschaft, vorbei an Wiesen und Äckern. Die Selz hat mit Ihrer Wasserkraft einst über 40 Mühlen angetrieben, sie war allerdings nie Trinkwasserlieferant. In gerade Bachläufe gezwängt, ähnelte die Selz an vielen Stellen eher einem Abwasserkanal und verschmutze im Laufe der intensiven Landwirtschaft zunehmend. Dank mehrerer Renaturierungsmaßnahmen schlängelt sie sich wieder durch die Auenlandschaft und die Wasserqualität ist deutlich gestiegen und bietet mittlerweile Lebensraum für viele seltene Tier- und Pflanzenarten. Das Projekt trägt den Namen „Entfesselung der Selz“.

Infotafeln enthalten viel Wissenswertes

Biber & Co.

Wir nähern uns Alzey, hier ist zwar die ländliche Idylle entlang von wilder Natur vorerst beendet, aber die Strecke hält ein anderes Highlight für uns bereit. Der Radweg führt uns zum „Dauerstau“ in Alzey. Ein kleiner See, der dem Hochwasserschutz vor Alzey dient.

Der Dauerstau bei Alzey
Biberspuren am Alzeyer Dauerstau im April 2021

Die Nilgänse, Blesshühner und Stockenten fühlen sich hier sehr heimisch und geben sich in keiner Weise besucherscheu. Aber hier ist noch ein anderer Bewohner sesshaft geworden: ganz selbstverständlich schwimmt er durchs kühle Nass und erklimmt die angrenzende Wiese auf der Suche nach etwas Essbarem. Die ursprünglich aus Südamerika stammende Nutria (Myocastor coypus), auch Biberratte genannt, lebt hier einträchtig mit den Enten und Fischen im Dauerstau von Alzey. Im ersten Moment erinnert sie an den Biber mit ihren markanten orangen Schneidezähnen, aber am Schwanz ist eindeutig ihre Art zu bestimmen.

Nilgänse am Dauerstau
Eine Nutria am Dauerstau
Die Selz bei Alzey

Auch wurden hier schon einige Biberspuren entdeckt, allerdings scheint dieser hier aktuell nicht aktiv zu sein.

Wir schwingen uns wieder auf den Sattel und radeln durch ein Wohngebiet entlang von Gärten und der sanft plätschernden Selz. Dann ist diese plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Wir suchen sie hier vergeblich, denn ihr Verlauf in der Volkerstadt ist unterirdisch und sie taucht erst wieder am östlichen Stadtrand der „heimlichen Hauptstadt Rheinhessens“ auf. Bevor wir dem Verbleib der Selz auf die Spur kommen, legen wir eine Rast auf dem Rossmarkt ein. Das stattliche Pferd muss selbstverständlich auf dieser Route fotografiert werden, schließlich wollen wir Tierbegegnungen aller Art am Selztal-Radweg dokumentieren.

Der Rossmarkt in Alzey mit Brunnen und Brunnenpferd Max

Am Alzeyer Schloss vorbei in Richtung Schafhausen wird es wieder naturnäher und idyllischer. Hier hat sich das Landschaftsbild in den letzten Jahren stark verändert. Durch die Renaturierung der Selz bei Schafhausen ist der Biber (Castor fiber) hier seit über zwei Jahren heimisch geworden. Der Landschaftsgestalter hat mit seinem Nageeifer die Selz mit seinen gefällten Bäumen gestaut. So hat er erreicht, dass der Wasserspiegel deutlich angestiegen ist und der Eingang in seine Biberburg unter der Wasseroberfläche liegt. Für so manchen Besucher und Anwohner in Schafhausen war dies etwas befremdlich; nun hat man dem geschützten Säugetier mittlerweile freien „Nager-Spielraum“ gewährt und freut sich, dass der früher stark bejagte und seltene Biber in dem Renaturierungsgebiet Heimat gefunden hat. Als größtes europäisches Nagetier ernährt sich der Vegetarier von der Rinde, den frischen Ästen und den Knospen seiner gefällten Bäume, die er auch zur Stauung seines Dammes und zum Bau seiner Biberburg benutzt.

Der Bibersee bei Schafhausen

Es lohnt sich hier eine Rast einzulegen und zu Fuß, um den „Bibersee“ zu laufen. Die Artenvielfalt von Faltern, Schmetterlingen, Insekten, Pflanzen und das Leben auf dem Wasser lassen das Herz jeden Naturliebhabers höherschlagen. Hält man auf einer Bank am Rand des Sees eine Zeit inne, kann man die „köw“-Rufe des Blesshuhns hören oder einen Kormoran im Geäst in Ufernähe bewundern.

Ein Kormoran am Bibersee bei Schafhausen

Im Frühjahr schwimmen die Entenfamilien aufgeregt durch die Bäume, die vor drei Jahren noch auf einer Wiese standen und jetzt Teil der gefluteten Fläche geworden sind. Die Nutria fühlt sich hier ebenfalls sehr heimisch, sie ist im gesamten Verlauf der Selz an vielen Stellen zu finden. Das aufgeschichtete Totholz auf der angrenzenden Wiese bietet Unterschlupf und Lebensraum für Eidechsen, unzählige Insekten, zahlreiche Libellen- und Schmetterlingsarten, wie z.B. das Hufeisen-Klee-Widderchen in den Brombeerhecken und das Schachbrett.

Eine Blaue Federlibelle
Ein Schachbrett auf der Wiesen-Flockenblume
Eine Nutria am Bibersee

Mit etwas Glück können wir hier auch den Eisvogel sichten, der etwas selzabwärts seine Bruthöhle in der Böschung hat. Der einheimische Vogel – der durch die Bierwerbung vielen bekannt ist – gilt mit seinem schillernd blauen Gefieder als echter Hingucker und fliegt geschickt direkt über der Wasseroberfläche der Selz, die zwischen dicht bewachsenen Ufern schlängelt. Sein Vorkommen ist stark von sauberen und nahrungsreichen Gewässern abhängig. Er ernährt sich fast ausschließlich von Fisch, aber auch Insekten und Kaulquappen stehen auf seinem Speiseplan.

Der Selztal-Radweg führt mich zu landschaftlichen Highlights, die ich hier nicht vermutet hätte. Wirklich eine lohnende Tour für Naturliebhaber!

Weiter geht’s in Richtung Mündung durch das Selztal, vorbei an der kürzlich fertiggestellten Renaturierung zwischen Gau-Odernheim und Bechtolsheim. Wir sind gespannt, was es hier in einigen Jahren zu entdecken gibt.

Ein Highlight für alle Vogelkundler  – vorbei am Hahnheimer Bruch

Nach Hahnheim tauchen wir tief in die wilde Natur des Selztals ein, Flora und Fauna in den Naturschutzgebieten entlang der Radstrecke warten auf uns. Als erstes erreichen wir den „Hahnheimer Bruch“, der mittlerweile bei den Ornithologen sehr beliebt ist. Beobachten kann man hier die Graureiherkolonie und ab und zu, während der Zugzeit, auch Kraniche. Heimisch fühlen sich hier auch Blaukehlchen, Kiebitze, Bruchwasserläufer, Waldwasserläufer und Schwarzkehlchen, um nur einige der Bewohner zu nennen. Wer gerne einmal den Kuckuck hören möchte, kann mit großer Wahrscheinlichkeit hier seinen Rufen lauschen.

Der Hahnheimer Bruch
Vom Biber gefällter Baum im Hahnheimer Bruch

Das Naturschutzgebiet ist die Heimat von zahlreichen Insekten, die auf Blüten und Gräsern zu entdecken sind. Hier finden sich z.B. Schwalbenschwänze, Segelfalter, Gottesanbeterinnen, der gefleckte Schmalbock und verschiedene Bläulingsarten. Die Wiese ist im Frühjahr geschmückt von Schlüsselblumen, sowie vielen weiteren botanischen Schönheiten. Das Selztal bietet auf den Grasflächen und Ufern durch den veränderten Lebensraum Heimat für besondere Pflanzenarten, wie z.B. Lachenals Wasserfenchel, Stumpfblütige Binse, Geflügeltes Johanniskraut, Gerstensegge und Kanten-Lauch, um nur einige zu nennen.

Schlüsselblume
Geflecktes Johanniskraut

Wilde Gesellen mit Auftrag

Weiter in Richtung Mündung kommen wir an zwei Black-Angus-Herden der verantwortlichen Beweider, die „Rindsköpfe“, vorbei. Sie pflegen seit 2020 das NABU Weide- und Renaturierungsprojekt zwischen Hahnheim und Nieder-Olm im Auftrag des Selzverbandes mit Unterstützung der NABU-Gruppe Rhein-Selz.

Betreiben Landschaftspflege mit Black-Angus-Herden: Die Rindsköpfe

Durch das Abweiden wird das Gras kurzgehalten und die Bodenauflockerung durch die Hufe der Tiere bietet für Bodenbrüter (wie z.B. den Kiebitz) eine wichtige Lebensgrundlage. Ein entscheidender Beitrag zum Einklang mit der Natur entlang der kleinen Selz, die wieder in „Schleifen“ gelegt wurde, um bei Unwettern umliegende Orte nicht zu fluten. Ich bin überrascht, dass ich hier auf einen weiteren Landschaftspfleger mit beeindruckenden Hörnern treffe: Eine kleine Herde Karpatenwasserbüffel grast gemütlich auf der saftig grünen Wiese bei Sörgenloch. Das ursprünglich aus Rumänien stammende Nutztier ist eher selten in unserer Region anzutreffen und unterscheidet sich zu seinen entfernten Artgenossen durch die Eigenart auch gerne Schilf zu verspeisen und ganzjährig auf der Weide leben zu können. Durch die Freilegung von Uferflächen vom stark wuchernden Schilfgras finden ebenso Amphibien und Libellen neuen Lebensraum an der Selz.

Karpaten-Wasserbüffel bei Sörgenloch

Ein Hinweis der Rindköpfe:
Wenn Ihr an der Selz entlang radelt/spaziert und wir umtreiben, bitte gebt uns Zeit die Tiere weiterzutreiben. Wir spannen mit Bändern und Weidekordel größtmöglich ab. Fahrt mit den Rädern nicht unnötig in die Herde rein nur weil ihr eure Bestzeit erreichen müsst! Auch zu EURER SICHERHEIT! Die Rinder brauchen ihre Zeit und wir geben uns größtmöglichste Mühe, das zu Tagen und Zeiten zu machen, wo es zu möglichst wenig Behinderung kommt! Vielen Dank für Euer Verständnis!

Voll von Eindrücken geht’s wieder auf den Sattel, vorbei an Nieder-Olm in Richtung Ingelheim. Nach Stadecken-Elsheim treffen wir an der „Elftausend-Mägde-Mühle“ auf die ausgeschilderte „Obstroute“, die ab hier auf gleicher Strecke vorbei an Obstbäumen und Wiesen zu unserem Ziel in Ingelheim führt.

Das Beste kommt zum Schluss

Kurz vor der Mündung in der Nähe der Rheinfähre in Ingelheim-Frei-Weinheim verläuft die Selz durch das Naturschutzgebiet „Sandlache“, das Vogelkundlerherzen zu jeder Jahreszeit höherschlagen lässt. Es ist Teil einer Kette von Naturschutzgebieten zwischen Bingen und Mainz. Hier in einem der artenreichsten Gebiete Europas lohnt es sich, einen Gang runterzuschalten und dem Gezwitscher der zahlreichen Vogelarten zu lauschen. In den Rheinauen mit seichten Stillwasserbereichen tummeln sich zu allen Jahreszeiten Wasser-und Watvögel in großer Vielzahl. Sie finden ihren idealen Lebensraum in den von meterhohen Pappeln gesäumten Auenwiesen und Gehölzen am Rheinufer und rund um die Inseln Rüdesheimer Aue und Mariannenaue. Eine Schiffsexkursion des Nabu-Rheinauen lohnt sich, um die Artenvielfalt aus der Wasserperspektive zu entdecken.

Rheinauen bei Ingelheim (c) Dominik Ketz

Eine Tour mit vielen unterschiedlichen Streckenabschnitten und Eindrücken neigt sich dem Ende entgegen. Angefangen am Rande des Pfälzer Waldes durch weite Wiesenabschnitte, vorbei an Gewässern und durch die heimliche Hauptstadt Rheinhessens. Das Rebenmeer im Blick und die Mücken im Genick 😉  – ein Insektenschutz an Gewässern ist übrigens sehr empfehlenswert – so treffen wir auf Deutschlands längsten Fluss in der Rotweinstadt Ingelheim am Rhein.

Moschus Malve

An dieser Stelle bedanke ich mich für die informativen Gespräche mit Paul Britz (1. Vors. NABU-Ortsgruppe Rhein-Selz), Wolfgang Hähnel (Biberbetreuer, Schafhausen) und Lorenz Frey von den „Rindsköpfen“.

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Schon immer in Rheinhessen lebend, kenne ich noch lange nicht alle Ecken meiner geliebten Heimat. Ich freue mich, wenn Ihr mich zukünftig bei meinen Neuentdeckungen begleitet.

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