Die historische Stadt Worms sowie die ersten Etappen des RheinTerrassenWegs liegen hinter uns. Wir haben die herrlichen Ausblicke auf den Rhein und das weite Rebenmeer genossen. In Alsheim legen wir eine längere Pause ein, ziehen die Wanderschuhe aber nicht aus. Das berühmte Hohlwegenetz hat unser Interesse geweckt, schließlich ist es einzigartig in Rheinhessen.
Klein-Paris in Rheinhessen
Ausgangspunkt der kleinen Wanderung ist das Bürgerhaus in Alsheim. Dort erwartet uns Kultur- und Weinbotschafterin Melitta Schleich, die sich gemeinsam mit uns auf den Erkundungsweg Krummsteighohl machen wird. Sie hat einen Schluck Weißwein mitgebracht, das gehöre zur rheinhessischen Gastfreundschaft schließlich dazu. Während wir kosten, erzählt sie ein wenig von der Weinbaugemeinde Alsheim.
Alsheim ist mit über 700 Hektar Rebfläche eine der größten Weinbaugemeinden Rheinhessens. Dementsprechend wuchs der Wohlstand der Bewohner und die (berechtigten?) Vorurteile ihnen gegenüber. Melitta Schleich berichtet mit einem Augenzwinkern, dass Alsheim von seinen Nachbarn alsbald nur noch “Klein-Paris” genannt wurde. Die Alsheimer selbst hatten den Spitznamen ”Windbeidel“ weg. Da die “Windbeutel” aber so gut über sich selber lachen können, haben sie diesen Spitznamen personifiziert und in Bronze gegossen direkt vor ihr barockes Rathaus gestellt.
Wir fragen die Kultur– und Weinbotschafterin, welches Fleckchen in Alsheim sie besonders liebt. Melitta Schleich muss nicht lange überlegen: Die evangelische Kirche, eine der vier rheinhessischen Heidenturmkirchen, mit ihrem verwunschenen Kirchhof und den historischen Grabdenkmälern. Die Besonderheit dieses Gotteshauses ist der orientalisch anmutende Turm, der im Volksmund “Heidenturm” genannt wird. Wir versprechen, dass wir dort auch noch vorbeischauen werden.
Eine rheinhessische Besonderheit
Wir setzen uns in Bewegung und erreichen recht bald den Ortsrand von Alsheim. Die Weinberge liegen unmittelbar vor uns, unser Blick fällt ins weite Rheintal, die Natur ist ganz ruhig. Das Motto des Alsheimer Hohlwegenetzes “Wein.Wind.Stille” ist gut gewählt!
Noch bevor wir den ersten Hohlwegabschnitt erreichen, schwärmt Melitta Schleich von der Besonderheit dieses geologischen Phänomens. Durch natürliche Regenwasserabflüsse, aber auch durch Menschenhand (landwirtschaftliche Gerätschaften), wurden die Wege im Weinberg über Jahrhunderte immer tiefer – bis hin zur Entstehung schluchtartiger Gräben. So bildeten sich meterhohe Lösswände und steile Böschungen, über die sich die Tier- und Pflanzenwelt besonders freut. Für sie sind die Hohlwege ein wichtiger Lebensraum.
Das Hohlwegenetz in Alsheim ist eine rheinhessische Besonderheit. In vielen anderen Gemeinden sind die Hohlwege über die Jahre durch Flurbereinigungen zugeschüttet worden. In Alsheim nicht. Nirgendwo sonst kann man diese Lebensräume so gut bestaunen, nirgendwo sonst ist die Artenvielfalt so groß wie hier. Deswegen sprechen die Alsheimer auch von einem Paradies.
Entdeckungen im Hohlweg
Als wir vor der ersten meterhohen Lösswand stehen, können wir das nachvollziehen. Der Anblick ist beeindruckend und wenn wir ganz leise werden, hören wir ein aufgeregtes Summen und Brummen. Der Löss lebt!
Die vielen winzigen Löcher im Löss sind Nistquartiere für Wildbienen und Insekten. Vögel nutzen die Hecken der Hohlwege, um ihre Nester im Weißdorn oder Holunder zu bauen. Wir entdecken eine Handvoll Eidechsen und Turmschnecken. Dazu zeigt uns Melitta Schleich einen Kaninchenbau und Fuchsspuren. Es macht richtig Spaß, sich hier umzusehen. Da der Lössboden besonders fruchtbar ist, wachsen in den Hohlwegen auch viele Pflanzen – sogar einige südeuropäische Arten. Ihnen gefällt das warme und sonnige rheinhessische Klima so gut wie uns!
Die Begeisterung der Kultur- und Weinbotschafterin ist ansteckend. Ihre Sorge auch. Diese Art Lebensraum ist gefährdet. Pflegt man Hohlwege nicht richtig, dann wuchern sie zu. Die sonnenexponierten Lösswände verlieren wertvolles Licht. Deswegen hat es sich Alsheim zur Aufgabe gemacht, die Wege zu erhalten, Pflegemaßnahmen durchzuführen und Gästen die Schönheit dieser einmaligen Kulturlandschaft zu zeigen. Wir wissen das sehr zu schätzen!
Wir setzen unsere Wanderung durch Hohlwege und Weinberge fort. Immer wieder versuchen wir, Pflanzenarten zu erraten und Tierspuren zu entdecken. Wie um uns vom Artenreichtum Alsheims endgültig zu überzeugen, erscheint ein Reh mitten im Weinberg. Melitta Schleich schmunzelt ob unserer Begeisterung und ist wenig verwundert: “Rehe lieben Dornfelder!” Die Winzer seien darüber meist weniger begeistert.
Eine verwunschene Ruine
Bevor wir zurück zum Bürgerhaus wandern, will uns Melitta Schleich noch etwas zeigen. Wir machen einen Abstecher nach Hangen-Wahlheim, einem Ortsteil von Alsheim mit nur einigen wenigen Häusern. Wir folgen einem schmalen Weg entlang dichter Sträucher und Bäume – und stehen plötzlich vor einer kleinen Kirchenruine.
Maria Magdalena und Jakobus ist eine in der Spätgotik errichtete Kirche. Sie wurde im französischen Erbfolgekrieg 1689 zerstört und im Jahr 2001 von einer Initiative baulich gesichert. Die Ruine ist immer noch eine geweihte Kirche. Man kann an diesem romantischen Fleckchen sogar heiraten. Das sei dann wie im Märchen findet Melitta Schleich. Sie kommt gerne hierher. Die alten Grabkreuze aus dem frühen Jahrhundert haben es ihr besonders angetan.
Voll neuer Eindrücke und Erlebnisse geht es gemütlich zurück in den Ortskern. Wenn Ihr wie wir das Hohlwegeparadies Alsheim entdecken möchtet, könnt Ihr das auf fünf gut ausgeschilderten Routen auf eigene Faust tun. Wer die Möglichkeit hat, sollte aber unbedingt eine geführte Wanderung mit einem fachkundigem Hohlweg-Führer machen. Wir hätten sonst sicher nicht einmal die Hälfte aller Lebewesen entdeckt oder Pflanzen erraten.
Tipp: Wir lassen den Tag im ZAK – Zum alten Kelterhaus im wunderschönen Garten mit Live-Musik, einer zünftigen Mahlzeit und Rheinhessenwein ausklingen. Auch eine echte Empfehlung!