Wir lassen das lebendige Weindorf Guntersblum hinter uns und folgen dem RheinTerrassenWeg über die rheinhessischen Ortschaften Ludwigshöhe und Dienheim. Die grandiosen Fernblicke dieses Abschnitts reichen weit in das Rhein-Main-Gebiet. Das Gute aber liegt ganz nah, denn am Ende erhebt sich die wunderschöne Silhouette Oppenheims am Horizont. Die mittelalterliche Stadt ist unsere nächste Station – sowohl ober- als auch unterirdisch. Was die Polizei, Goethe und Kröten mit unseren Erlebnissen in Oppenheim zu tun haben, verraten wir Euch hier.
Das mystische Kellerlabyrinth
Die Altstadt von Oppenheim mit ihren verwinkelten Wegen und schmalen Treppengassen versprüht einen malerischen Charme. Wir überqueren den zentralen Marktplatz und treffen Walter Lang am Stadtmuseum. Er wird mit uns in die Oppenheimer Unterwelt hinabsteigen.
Walter Lang ist keineswegs Fährmann und in der rheinhessischen Unterwelt warten auch keine Dämonen – obwohl wir die eine oder andere Geistergeschichte hören werden. Wir erkunden mit dem Gästeführer das Oppenheimer Kellerlabyrinth, ein nationales Kulturdenkmal und einzigartiges System unterirdischer Gänge und Keller. Nicht weniger spannend als der Hades!
Bei sommerlich-heißen Temperaturen verspricht der bevorstehende Abstieg eine willkommene Abkühlung. Zunächst werden wir mit Helm und Haube ausgestattet. Sicherheit geht definitiv vor Aussehen! Während wir uns wie „Bob der Baumeister“ fühlen, erzählt uns Walter Lang von den echten Baumeistern der unterirdischen Keller.
Etwa vom 11. bis 15. Jahrhundert wurde die Stadt fleißig unterkellert, um notwendige Lagerräume zu schaffen. Im Mittelalter war Oppenheim eine wichtige Handelsstadt mit Marktrecht, Warenumschlag, Zoll- und Lagerrecht. Übrigens: Wer damals als Erster buddelte, dem gehörte der Keller. Deshalb haben Krämer nicht selten ihre Nachbarn im Eiltempo untergraben.
Wir steigen die alte Steintreppe am Eingang des Labyrinths hinab und sofort umfängt uns kühle Luft. Eine Wohltat! Die konstanten Temperaturen zwischen 16 und 18 Grad seien im Sommer wie Winter angenehm, schwärmt Walter Lang. Deswegen könne man das Kellerlabyrinth ganzjährig wunderbar besuchen.
Tiefer als die Polizei erlaubt
Unser Gästeführer lotst uns durch die verschachtelten Gänge. Ohne ihn wären wir wohl verloren. Die gesamte Altstadt ist unterkellert – und das auf mehreren Stockwerken bis zu acht Meter tief. Walter Lang aber kennt die „Stadt unter der Stadt“ wie seine Westentasche. Er kann sich gut daran erinnern, dass das unterirdische System viele Jahrzehnte als Stauraum für Sperrmüll und allen möglichen Schrott genutzt. Quasi als Teppich, unter den man den Müll der Geschichte kehren und vergessen konnte. 1986 aber kam die Polizei ins Spiel und setzte dem ein Ende. Wenn auch nicht so, wie Ihr jetzt vielleicht denkt.
In besagtem Jahr versank mitten in der Altstadt urplötzlich ein Polizeiauto. Die beiden Streifenpolizisten kamen mit dem Schrecken davon, doch die Oppenheimer nahmen das Loch im Boden zum Anlass, unter sich zu forschen, aufzuräumen und vor allem zu sichern. Über 500.000 Eimer Schutt aus 500 Jahren Geschichte wurden unter Tage gefördert, darunter diverse Scherben, Kacheln, Knochen (keine Menschenknochen!), Nachttöpfe und sogar Autokarosserien. Walter Lang muss schmunzeln, als er sich an den einen oder anderen „Schatz“ erinnert.
Auch wir tauchen immer tiefer in den Untergrund ein. Inzwischen ist es schwer zu sagen, wie viele Meter schon zurückgelegt wurden. Würde man alle 630 registrierten Keller hintereinanderlegen, käme man auf 30 Kilometer. Fast die Hälfte unseres RheinTerrassenWegs also. Touristisch sind auf zwei Rundgängen aber „nur“ etwa 750 Meter erschlossen.
Unsicher fühlen wir uns zu keiner Zeit. Müssen wir auch nicht denn „die Keller sind der sicherste Ort in Oppenheim und ein gutes Versteck für seine Bewohner“, verspricht unser Gästeführer. Den Beweis liefert er gleich hinterher: In den letzten Jahrhunderten wurde die oberirdische Stadt viele Male durch Kriege, Feuer und Erdbeben zerstört – und wiederaufgebaut. Die Keller blieben immer unversehrt. Tatsächlich sind sie heute der einzige Hinweis auf den mittelalterlichen Grundriss Oppenheims.
Eine Gruft, viel Wein und manchmal Pizza
Walter Lang kann unglaublich viele Geschichten über die Keller und ihre Besitzer erzählen. Mystische Geschichten, als wir vor einer Mauer stehen, die uns von der Gruft der St. Bartholomäus Kirche trennt. Gesellige Geschichten, als in einem anderen Keller alles für eine Weinprobe bereitsteht. Interessante Geschichten vom „Kulturkeller“, in dem tolle Veranstaltungen stattfinden. Und lustige Geschichten, wie etwa, dass er am Keller der örtlichen Pizzeria mitunter seine Bestellung nach oben ruft und diese für ihn nach Ende der Kellerführung zur Abholung bereitsteht.
Nach etwa einer Stunde geht es wieder hinauf. Unsere Augen müssen sich nach dem gedimmten Licht des Kellers langsam an die grelle Sonne gewöhnen. Wir geben unsere Helme ab. Die vielen Eindrücke und die Tatsache, dass wir soeben auf 800 Jahre altem Boden standen, kann uns aber niemand mehr nehmen.
Tipp: An Halloween finden im Oppenheimer Kellerlabyrinth spezielle und besonders beliebte Veranstaltungen für Groß und Klein statt. Die Gänge und Keller sind dann atmosphärisch geschmückt und Schauspieler sorgen für eine schaurig-schöne Atmosphäre unter der Erde.
Die imposante Katharinenkirche
In direkter Nachbarschaft des Stadtmuseums befindet sich das nächste Ziel unseres Bummels. Die faszinierende evangelische Katharinenkirche thront über den Dächern der Altstadt und zieht uns sofort in ihren Bann. Kein Wunder, gilt sie doch als das bedeutendste gotische Sakralbauwerk zwischen dem Kölner Dom im Norden und dem Straßburger Münster im Süden.
Auf dem schön angelegten Kirchplatz bestaunen wir die eindrucksvolle Sandsteinfassade und die goldenen Sonnen- und Planetenuhren. Das Innere der Kirche präsentiert sich nicht weniger prachtvoll. Die großen Fenster lassen an einem Tag wie heute viel Licht in den Altarraum. Von ihrer detailreichen und hochwertigen Buntverglasung war sogar Goethe schon angetan. Wie könnten wir es da nicht sein?
Und da wir gerade bei bedeutenden Deutschen sind: Max Reger und Albert Schweitzer haben einst in der Katharinenkirche auf der historischen und hochgeschätzten Walcker-Orgel gespielt und ihre poetische Klangfarbe gelobt. In der heutigen Orgel ist altes Pfeifenmaterial aus ebendiesem Instrument restauriert und integriert worden.
Wir spazieren einmal um die Katharinenkirche herum und bestaunen die kleine Michaelskapelle in ihrem Schatten. Zugegeben: Das Beinhaus im Untergeschoss ist mit vielen aufgestapelten Schädeln und Knochen sicher nichts für schwache Nerven. Es gehört aber zu den wenigen erhaltenen Bauten dieser Art in Rheinhessen und ist definitiv einen Blick wert – wie lang bleibt Euch überlassen.
Die demütige Bartholomäuskirche
Jetzt wollen wir es uns natürlich nicht nehmen lassen, auch einen Blick in die zweite Kirche Oppenheims zu werfen. Auf dem kurzen Weg dorthin fallen uns viele Kellereingänge in den Hausfassaden der Altstadt auf. Walter Lang erwähnte sie während unseres unterirdischen Rundgangs. Faszinierend, dass wir mehr oder weniger denselben Weg heute schon einmal gelaufen sind – mehrere Meter unter der Erde.
Die katholische Bartholomäuskirche liegt unterhalb des Marktplatzes und integriert sich nahtlos in die verwinkelte Altstadt. Sie wurde 1211 vom Franziskanerorden gegründet und ist damit Teil eines der ältesten Franziskanerklöster Deutschlands. Die schlichte und klare Ausstrahlung der Kirche sowie das fehlende Seitenschiff lassen erkennen, dass es sich um eine Bettelordenskirche handelt. Wir vermuten, dass das auch der Grund ist, warum das Gotteshaus so unaufgeregt und fast ein wenig versteckt im Stadtkern liegt.
Im Zuge der Reformation verlor das Franziskanerkloster an Bedeutung. Von den ursprünglichen Klosterstrukturen neben der Bartholomäuskirche sind heute nur noch vereinzelte Reste erhalten.
Zum Quaken
Auf dem RheinTerrassenWeg sind wir noch mitten durch den Krötenbrunnen oberhalb Oppenheims gewandert. Diesen Namen verdankt die berühmte Weinbergslage einem alten Wassersystem, das ursprünglich zur Wasserversorgung der Stadt diente. Ein 30 Meter tiefer, inzwischen stillgelegter Stollen fing dort Regenwasser auf und leitete es nach Oppenheim.
In der Oppenheimer Altstadt gibt es auch einen „richtigen“ Krötenbrunnen, also einen Brunnen mit putzigen, wasserspeienden Krötenfiguren. Er ist die letzte Station unseres kleinen Stadtbummels. Nach so vielen spannenden Eindrücken wird es höchste Zeit für einen Tropfen Krötenbrunnen – also ein Glas Wein der Oppenheimer Winzer natürlich, kein Glas Brunnenwasser!