Seit 2021 sind die SchUM-Stätten UNESCO-Weltkulturerbe. Ich muss leider zugeben SchUM war mir bisher kein Begriff und ich brauchte erst einmal eine kleine Einführung in das Thema. Weil es vielen von Euch bestimmt genauso geht und wir das unbedingt ändern müssen, habe ich jeweils eine Gästeführung durch das jüdische Viertel und den Friedhof in Worms und über den jüdischen Friedhof in Mainz gemacht und erzähle Euch, was Ihr dort entdecken könnt.
Eine Gästeführung durch das jüdische Worms
Mit dem Gästeführer Rolf Jochum erlebe ich die SchUM-Stätten in Worms und erfahre einiges über die 1000-jährige Geschichte der Juden in Worms und am Rhein. Über unserer gesamten Führung schwebt die gute Nachricht – SchUM ist Weltkulturerbe. Eine freudige Meldung, auf die die Städte 16 Jahre hingearbeitet haben und die eine wichtige Botschaft ausstrahlt: Die Geschichte des Judentums am Rhein ist schützenswert. Voraussetzung für den Weltkulturerbestatus sind dabei der Einfluss auf die Architektur, eine lebendige und kontinuierliche Tradition und das Zeugnis urbanen Lebens oder eines urbanen Viertels. All das erfüllen die SchUM-Stätten.
Wir starten unsere Führung mitten im jüdischen Viertel in Worms auf dem freien Platz vor der Synagoge. Im Hintergrund kann ich den Blick auf das jüdische Museum im ehemaligen Raschi-Haus schon erhaschen. Ein tolles Museum, das seit der Annerkennung als UNESCO-Weltkulturerbe seine Ausstellung erneuert hat und viele Einzelheiten und Besonderheiten auch rund um SchUM erklärt und erlebbar macht.
Mir fällt direkt auf, dass in diesem Teil von Worms noch Kopfsteinpflaster liegt und Abschnitte der Stadtmauer erhalten sind. Kleine Details, die es Herrn Jochum leichter machen, in meinem Kopf ein Bild von der Stadt vor 1000 Jahren zu erschaffen.
Wie genau damals alles ausgesehen hat und wann die ersten Juden in Worms wohnten und wann sie eine Gemeinde gründeten, das ist heute schwer nachzuvollziehen und zu erforschen. Jedes Mal, wenn man ein neues Schriftstück oder Fundstück entdeckt, setzt sich das Puzzle weiter zusammen. Auch dafür ist der UNESCO-Weltkulturerbe-Status wichtig. Man kann die Geschichte stärker erforschen und für die Menschen, für uns, aufbereiten und erlebbar machen.
1000 Jahre durch die Geschichte
Von 960 und 980 hat man in Köln Schriftstücke gefunden, die von Juden sprechen, die aus Worms kamen. Einen Beweis für eine jüdische Gemeinde hat man aber erst mit der Stiftungstafel der Synagoge von 1034. Für die Gründung einer Synagoge brauchte es mindestens 10 Familienoberhäupter. Nimmt man eine normale Größe der Familien der damaligen Zeit an, dann lebten damals 60-70 Juden in der Stadt. Es muss also spätestens 1034 eine jüdische Gemeinde in Worms gegeben haben.
Die Synagoge wurde wie damals üblich, in zweiter Reihe in den Gärten hinter den Häusern gebaut. Den großen freien Platz, auf dem wir heute stehen, gab es folglich nicht. Wie üblich für die damalige Zeit war auch das jüdische Viertel eng bebaut und wuchs immer weiter. Auch wenn der Name jüdisches Viertel es vermuten lässt, waren die Juden nicht 1000 Jahre lang verpflichtet, nur in diesem Teil von Worms zu wohnen. Auch wenn wir eigentlich über die Geschichte der Juden, ihren Glauben und die Entwicklung der SchUM sprechen wollen, kommen wir immer wieder an den Punkt, an dem wir über das Verhältnis der Christen und der Juden reden. Dieser Teil gehört einfach unweigerlich zur Geschichte der Juden am Rhein dazu. Herr Jochum betont aber, bei einer Führung zu SchUM und den Juden in Worms gehe es nicht nur um das Dritte Reich und die Reichspogromnacht, der auch die jüdische Synagoge zum Opfer gefallen ist. Es gehe vielmehr um das Leben der Juden und wie stark es mit Worms verbunden ist, um den Geist und die Geschichten der Menschen, die hier lebten und darum, wie SchUM in ganz Deutschland bis heute ausgestrahlt hat. Immer wieder gibt es kleine Geschichten und Anekdoten zu erzählen und auch wenn sie rational unglaubwürdig scheinen, geht es nicht um den Wahrheitsgehalt der Erzählungen, sondern den Gedanken dahinter. „Das ist der Geist von SchUM“, so beschreibt es Herr Jochum.
Unsere Führung bringt uns nach dem Rundgang durch die kleinen Gassen dann auch in die Synagoge. Herr Jochum setzt seine Kippa auf und führt mich durch das Rabbinerhaus und den Frauenschuh in die Synagoge. Eine Kopfbedeckung ist übrigens in der Synagoge und auf dem Friedhof für alle Männer Pflicht, daran solltet Ihr unbedingt denken. Ich nehme auf einer der Holzbänke Platz und Herr Jochum erklärt mir alle Einzelheiten eines Gottesdienstes und der Synagoge. Die Synagoge brannte aus und wurde zerstört, jedoch wurde sie nach altem Vorbild wiedererrichtet und als erste Synagoge Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg 1961 wieder eingeweiht.
Durch Worms zum Friedhof Heiliger Sand
Als letzten Punkt der SchUM-Stätten hier in Worms besuchen wir den Friedhof Heiliger Sand. Dafür müssen wir das jüdische Viertel verlassen und laufen vorbei am Dom und dem Luther-Denkmal durch die Stadt. Der jüdische Friedhof liegt weit und friedlich vor uns. Auf einer großen, hügeligen Wiese ragen viele steinerne Grabsteine empor. Ein paar von Ihnen sind umgekippt oder im Boden versunken. Ein ganz normales Bild, wie Herr Jochum mir erklärt. Fallen die Steine um oder versinken sie, sei das von Gott so gewollt. Nur wenn der Mensch eingegriffen und etwas verändert hat, dann darf das wieder behoben werden. Mit dem geschulten Auge des Gästeführers fallen die Veränderungen in den Formen der Steine auf und auch die pompöseren Grabsteine, die den neueren Teil des Friedhofs und die Anpassung an das Christentum bezeugen. Ganz hinten auf dem Friedhof können wir auf die Rabbinerecke runterschauen, in der schon vor 1000 Jahren die Rabbiner beerdigt wurden. Und genau hier steht er auch, der älteste Grabstein von 1058 des Friedhofs Heiliger Sand und der Stein, der den Friedhof zum ältesten jüdischen Friedhof in Europa macht. Ein Titel, um den Worms sich mit Mainz streitet.
An dieser Stelle endet unsere Führung in Worms und für mich geht es weiter nach Mainz. Wenn Ihr auch eine Gästeführung mitmachen wollt, dann schaut mal auf der Webseite der Stadt Worms vorbei. Ansonsten könnt Ihr den Friedhof Heiliger Sand auch zu den Öffnungszeiten besuchen und Euch von der SchUM-App der Stadt Worms durch das jüdische Viertel begleiten lassen.
Auf den Spuren von SchUM in Mainz
Natürlich habe ich auch in Mainz eine Führung über den alten jüdischen Friedhof besucht. Leider ist in Mainz nicht mehr viel vom jüdischen Leben von vor 1000 Jahren übriggeblieben. Die Synagoge wurde neu aufgebaut und zählt somit nicht zu den SchUM-Stätten und dem UNESCO-Weltkulturerbe. Die Ernennung zum Weltkulturerbe soll hier in Mainz aber den Startschuss für ein neues Besuchererleben der SchUM-Stätten geben. So ist hier am jüdischen Friedhof ein Besucherzentrum in Planung.
Bis dahin wandele ich mit der Gästeführerin Claudia Maria Strehl über den Friedhof und lausche der Historie der Juden in Mainz. Die erste jüdische Gemeinde in Mainz wurde bereits 917 erwähnt und damit ist man sich sicher, die Geschichte des Judentums am Rhein begann in Mainz.
Mainzer Friedhof Judensand
Die Geschichte des jüdischen Friedhofs in Mainz geht zurück auf das Jahr 1012, als ein jüdisches Ehepaar das Grundstück für die Gemeinde kaufte. Damit ist der Friedhof hier in Mainz nachweislich älter als der in Worms, aber der älteste Grabstein vom Mainzer Friedhof mit dem Todesdatum 1049 steht nicht mehr hier auf dem Friedhof, sondern im Landesmuseum Mainz. Eine entscheidende Besonderheit, denn die Grabsteine haben im Judentum eine besondere Bedeutung, genauso wie die gesamte Bestattungskultur ihre Unterschiede zum Christentum hat. Wird ein Jude beerdigt, so gehört ihm der Platz auf dem Friedhof für die Ewigkeit. Dies ist auch der Grund, warum wir hier so viele so alte Steine bestaunen können. Das wichtigste auf dem Grabstein ist der Name des Verstorbenen. Dieser gehört aufgeschrieben für die Ewigkeit. Weil die Grabstätten immer für die Ewigkeit sind, ist es ganz wichtig, dass man auf den Friedhöfen immer auf den gekennzeichneten Wegen bleibt und nicht kreuz und quer über die Wiese läuft.
Die älteren Grabsteine auf dem Friedhof erkennt man an ihrer schlichten Form. Die verspielteren Formen und die Symbole auf den Steinen kamen erst später. Gerade die Symbole haben dabei eine festgelegte Bedeutung und erzählen etwas über den Verstorbenen. So steht eine abgebrochene Säule für einen zu früh verstorbenen Mann oder die segnenden Hände zeugen von einem Mitglied der Familie der Tempelpriester.
1000 bewegende Jahre Judentum in Mainz
Der jüdische Friedhof in Mainz zeigt deutlich die Geschichte der Juden in Mainz. Immer wieder siedelten sich hier jüdische Gemeinden an und wurden wieder vertrieben. So wuchs auch der jüdische Friedhof, wurde geplündert oder gar durch Teile der Gemeinde selbst verkauft und wieder zurückgekauft. Zu seiner Hochzeit war der jüdische Friedhof hier 9,5 Hektar groß, heute ist von diesem Teil der Ewigkeit nur noch ein Bruchteil übrig. Auf anderen Teilen stehen Häuser oder es wurden Straßen gebaut. 1438 wurde der Friedhof sogar verwüstet und Teile der Grabsteine in Gebäuden verbaut. Diese wiedergefundenen und wiedergewonnen Steine stehen heute auf einem separaten Abschnitt des Friedhofs, dem Gedenkfriedhof. Im Gegensatz zum Besucherfriedhof, über den wir bei unserer Führung laufen, sind die Grabsteine auf dem Gedenkfriedhof nicht einheitlich aufgereiht und ausgerichtet, sondern stehen durcheinander. Dies hat mit einer jüdischen Tradition zu tun. Der Tote wird mit Füßen nach Osten ausgerichtet und der Grabstein an seinem Kopf platziert. Da die Steine auf dem Gedenkfriedhof aber nachträglich aufgestellt wurden und nicht am Kopf des Toten, zeigen sie nicht in eine einheitliche Richtung.
Aktuell sei man noch dabei, die Steine des Friedhofs zu katalogisieren und zu dokumentieren, um auch nach dem Umfallen, Versinken oder Verwittern noch Aufzeichnungen der Steine zu haben. Ebenso sind viele der verbauten Steine in Mainz noch nicht wieder aufgetaucht. Die Geschichte der SchUM in Mainz ist genauso wie in Worms also noch nicht gänzlich entdeckt und wird mit jedem Fund weitergeschrieben. Bei einem Besuch der SchUM-Stätten in Rheinhessen und in Speyer wird es immer wieder etwas Neues aus der 1000-jährigen Geschichte des Judentums am Rhein zu entdecken geben.
Auf den jüdischen Friedhof in Mainz kommt Ihr derzeit nur mit einer Gästeführung. Alle Informationen zu den Führungen findet Ihr auf der Webseite von Mainz Tourismus.
An jüdischen Feiertagen und am Sabbat jeden Samstag hat der Friedhof ganz geschlossen. Denkt aber in jedem Fall daran, dass die Gräber im Judentum für die Ewigkeit sind und bleibt deswegen auf den gekennzeichneten Wegen. Und ganz wichtig für alle Männer: Denkt an Eure Kopfbedeckung.