Eine facettenreiche Frau: Mit dem Museumsdirektor auf den Spuren der Hildegard von Bingen

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Das Museum am Strom in ihrer einstigen Wirkungsstätte lädt zur Spurensuche ein. Ich habe Matthias Schmandt, den Museumsdirektor und Leiter des Kulturamtes der Stadt, getroffen und mit ihm über die Faszination und die vielen Facetten der Hildegard von Bingen gesprochen.

Ein Museum mit Ausblick

Der Weg zum Museum am Strom führt mich am wunderschönen Kulturufer entlang. Ich blicke auf sonnenbeschienene Weinhänge, den sagenumwobenen Mäuseturm und das Binger Loch, das den Eintritt des Rheins in das UNESCO-Welterbe Oberes Mittelrheintal markiert. Das alte Elektrizitätswerk von 1898 fällt mir sofort ins Auge. Heute steht es unter Denkmalschutz und beherbergt auf über 1000 Quadratmetern „alles das, wofür Bingen bekannt ist“.

Matthias Schmandt schätzt sich glücklich, das Industriedenkmal seit 20 Jahren seinen Arbeitsplatz nennen zu dürfen: „Ich sitze im Büro im zweiten Stock und schaue direkt auf den Rhein. Manchmal muss ich mich kneifen und mir sagen: Hey, das hier ist tatsächlich Dein Arbeitsplatz.“ Gemeinsam mit dem Museumsdirektor begebe ich mich heute auf Spurensuche, denn ich möchte wissen, wer die Frau war, deren Name so eng mit dieser Stadt verbunden ist. Wer war Hildegard von Bingen?

Das Leben und Wirken der Hildegard von Bingen

Zunächst muss mich Matthias Schmandt enttäuschen. Man könne fast leichter beantworten, wer Hildegard von Bingen nicht war, denn sie war so vieles: Prophetin und Ratgeberin. Musikerin und Malerin. Managerin und PR-Frau. „Unter ihrem Namen lässt sich alles Mögliche vereinen, war sie doch eine der interessantesten Frauen des Mittelalters“, erklärt der Museumsdirektor. „Deswegen ist sie für uns auch heute noch – mehr als 900 Jahre nach ihrer Geburt – so spannend.“

Die große Dauerausstellung rund um Hildegard von Bingen informiert über ihr Leben und Wirken. Sie erzählt, wie sie bereits mit jungen Jahren in die Obhut eines Klosters gegeben wurde und sich dort früh mit Religion, Medizin, Ethik und Musik befasste. Sie vermittelt die geistlichen und medizinischen Lehren der gebildeten Benediktinerin und erklärt, wie sie damit zur geschätzten Beraterin einflussreicher Persönlichkeiten wurde.

Echte Begegnungen und charmante Erinnerungen

Matthias Schmandt ist es wichtig, dass echte Begegnungen zwischen den Besuchern und der Universalgelehrten entstehen: „Wir versuchen auf unterschiedlichsten Wegen, teilweise mit Originalobjekten, Büchern und wertvollen Handschriften, aber auch mit vielen virtuellen Rekonstruktionen, diese Begegnungen zu organisieren und Gelegenheit zu bieten, in die Welt der Hildegard von Bingen einzutauchen.“ Er zeigt mir beispielsweise, wie das Kloster am Rupertsberg ausgesehen hat, das Hildegard von Bingen hier gegründet hat, und das im 30-jährigen Krieg bis auf den Rupertsberger Gewölbekeller vollständig zerstört wurde.

Dazu fällt dem Museumsdirektor ein Erlebnis ein, an das er sich besonders gerne erinnert. Vor einigen Jahren habe eine Gruppe schwedischer Besucher festgestellt, dass es Truppen aus Schweden waren, die 1632 das Hildegard-Kloster niederbrannten. Im Besucherbuch verewigten sie sich mit einer wunderschönen Zeichnung des brennenden Klosters und abziehender Soldaten und kommentierten darunter: Sorry for this! „Das fand ich sehr originell und charmant“, lacht er.

Im Land der Hildegard

Die Lehren der Hildegard von Bingen fänden weltweit Anklang, deswegen begrüße das Museum am Strom regelmäßig internationale Besucher, sagt Matthias Schmandt. Im vergangenen Jahr haben Menschen aus 50 Ländern den „Spirit des Originalortes“ erspürt. Dazu gebe es auch über das Museum hinaus zahlreiche Gelegenheiten: „Bingen ist sozusagen die Hauptstadt im Land der Hildegard, was hier in der ganzen Region zwischen Rhein und Nahe, zwischen Hunsrück und Trier präsent ist und vielfältige Begegnungsmöglichkeiten bietet.“

Er empfiehlt, neben dem bereits erwähnten Rupertsberger Gewölbekeller, einen Besuch der Hildegard-Gedächtniskirche in Bingerbrück und der schöngelegenen Rochuskapelle mit dem Hildegard-Altar. Darüber hinaus verbindet der 137 Kilometer lange Hildegard-von-Bingen-Pilgerwanderweg die Stadt mit der Ruine des Klosters Disibodenberg, in dem die Heilige die ersten 40 Jahre ihres Lebens verbrachte, sowie mit der Benediktinerinnenabtei St. Hildegard in Rüdesheim-Eibingen, die in Nachfolge des Binger Klosters gegründet wurde.

Chirurgie und Naturheilkunde

Neben der Ausstellung über Hildegard von Bingen bietet das Museum einen Einblick in die 2000-jährige Stadtgeschichte mit großen Abteilungen zu Römerzeit und Rheinromantik. Matthias Schmandt zeigt mir sein Lieblingsexponat, das aus einer Zeit weit vor dem Mittelalter stammt. Das „Binger Ärztebesteck“ ist der weltweit größte Fund der antiken Medizin. Anhand der 67 Instrumente aus dem 2. Jahrhundert könne man die komplette Werkstatt eines hoch spezialisierten Chirurgen der Römerzeit studieren, schwärmt der Direktor. „Das gibt es nur hier in Bingen und nicht einmal in Rom oder anderswo in der antiken Welt zu sehen.“

Zum Abschluss unseres Gespräches kehren wir noch einmal zu Hildegard von Bingen zurück, treten auf das lebendige Kulturufer hinaus und gehen in den benachbarten Museumsgarten. Da die wichtigsten Pflanzen aus dem berühmten naturkundlichen Buch der Gelehrten im Museum nur vertrockneten, habe man lieber dieses „Gartenerlebnis“ geschaffen. Natürlich mit historischer Einordnung der Vorstellungen über pflanzliche Wirkungsweisen. Wir nehmen auf einer der Bänke Platz und beobachten Insekten, die fleißig von Blüte zu Blüte fliegen. Hinter uns fließt der Rhein, so wie er es schon zu Hildegards Zeiten tat. Ich kann gut verstehen, warum sich Matthias Schmandt auch nach 20 Jahren manchmal noch kneifen muss!

Euer Besuch im Historischen Museum am Strom

Aktuelle Informationen zu Öffnungszeiten und Besucherservice, Beschreibungen der Dauer- und Sonderausstellungen sowie eine Vielzahl digitaler Angebote rund um die verschiedenen Abteilungen des Museums findet ihr auf dieser Seite.

Eine Antwort

  1. Sehr toller Artikel! Bin wirklich ein Fan von Hildegard geworden, die Produkte sind wunderbar und das seit vielen Jahrhunderten. Sehr interessant ist für mich, dass sie wohl auch von der Kirche hoch angesehen wurde – also war auf jedenfall eine bewundernswerte Dame! Wenn man denkt, dass soviele Jahre später immer noch so von ihr geschwärmt wird…

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Als externe Autorin für den Rheinhessen-Blog nehme ich Euch gerne mit auf meine Entdeckungstouren durch Rheinhessen. Mit Kamera und Notizbuch immer im Gepäck, erkunde ich die Region der tausend Hiwwel, lerne die Vielfalt des Weins kennen und treffe gastfreundliche Rheinhessen.

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