Wo Steine Geschichte(n) erzählen

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Die neue Steinhalle des Alzeyer Museums lässt die Römerzeit lebendig werden

Sie sind unbeweglich und stumm. Und dennoch erzählen sie Geschichte und Geschichten. Lange fristeten sie ein trostloses Dasein in einem Gelass im Hinterhof des Alzeyer Burggrafiats. Vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen. Doch nun haben die Zeugnisse der römischen Vergangenheit eine große Bühne bekommen – und was für eine. In der neuen Steinhalle des Alzeyer Stadtmuseums sind Tempelsteine, Kapitelle, Säulen und andere Exponate aus der Zeit zwischen dem 1. und 3. Jahrhundert n. Chr. geradezu spektakulär präsentiert. Ein Muss für Römer-Fans und archäologisch Interessierte, aber auch spannend für alle anderen Besucher von Rheinhessens „heimlicher Hauptstadt“. Und das nicht zuletzt wegen der modernen, sakral anmutenden Architektur des Baus.

Beim Betreten des rund 30 Meter langen und rund sechs Meter hohen Raums schweift der Blick über die Phalanx der Säulen, Quader und Skulpturen. Die sind einerseits durch eine ausgeklügelte Beleuchtungstechnik gut ins Licht gesetzt, andererseits fällt durch die großen rechteckigen Fenster an den Seitenwänden Tageslicht ein. Es sind „Schaufenster“ im eigentlichen Sinn des Wortes, wie Museumsdirektor Dr. Rainer Karneth verdeutlicht: „Durch diese großen Fenster sollen die Leute neugierig gemacht werden, auf das, was wir hier haben.“ Besonders eindrucksvoll ist das nach Einbruch der Dunkelheit, wenn der Innenraum erleuchtet und die Fassade angestrahlt ist.

Dann wirkt der gesamte Baukörper noch eindringlicher als tagsüber. Der mit graubraunen Tonpaneelen verkleidete Bau ist ein starker Kontrast zum barocken Bau des Museums, in dem einst ein Hospital untergebracht war. Ein Kontrast, der von Architekt Ernst Eichler ganz bewusst gesetzt wurde. „Es ist ein Museum und soll als solches auch erkennbar sein“, sagt der Alzeyer. Ein stilistischer Abklatsch zum bestehenden Museum, an das die Steinhalle angebaut wurde, verbot sich für Eichler von vornherein. „Wir wollten diesen spannungsvollen Kontrast zum alten Haus und einen Dialog, der beide Stile verbindet“, erläutert Eichler. Die umgebende Bebauung ist durch einen unruhigen Stilmix der Sechziger und Siebziger gekennzeichnet. Insofern wäre eine historisierende Architektur an dieser Stelle auch keine schlüssige Lösung. Die Steinhalle setzt an dieser Stelle mit ihrer modernen Gestaltungsform ein optisches Ausrufezeichen im Alzeyer Stadtbild. Eine Optik, die beeindruckt – und polarisiert. Die Ästhetik liegt allerdings auch bei diesem Bauwerk im Auge des Betrachters. Spötter bekritteln, der Bau erinnere an ein U-Boot. Damit kann Museumsdirektor Karneth aber gut umgehen. „Wir tauchen ja auch tief ein in die römische Geschichte in unserer Stadt“, merkt er augenzwinkernd an.

Auf 3,3 Millionen Euro beziffern sich die Baukosten. Kein Pappenstiel. In der Summe sind allerdings auch der barrierefreie Zugang zur städtischen Tiefgarage und der Anschluss an das Museum enthalten. 85 Prozent der Kosten für die Steinhalle fließen aus Mitteln der Europäischen Union. Ohne diese zweckgebundenen Mittel hätte dieses kulturelle Kleinod nicht realisiert werden können. Hätten die Alzeyer die Gelegenheit nicht beim Schopf ergriffen, wären die Gelder in eine andere Stadt oder Region innerhalb der EU geflossen. Die Römersteine wären dann wohl bis zum Sankt-Nimmerleinstag in der Hinterhofkammer des Burggrafiats verschwunden.

Beim Bau wurden nur Materialien verwendet, die auch schon die Römer kannten: Holz, Glas, Ton und Beton. Beton? Ja, Beton. „Den hatten die Römer ‚erfunden‘“, verdeutlicht Eichler. Und so schlägt der Baukörper eine Brücke zu seinem Inhalt. Der gewährt dem Betrachter gleichermaßen tiefe wie auch überraschende Einblicke in die Zeit vor rund 2000 Jahren, als Alzey noch Altiaium hieß. Erstmals erwähnt wird dieser Name auf einem Nymphenstein aus dem Jahr 223 n. Chr.. Der ist in der gut sortierten römischen Abteilung des Museums nebenan zu sehen. Diese „Geburtsurkunde“ macht Alzey zu einer der ältesten Städte Deutschlands. So wird Alzey schon im 18. Jahrhundert, als der Nymphenaltar gefunden wurde, als alte Römerstadt beschrieben.

Die bei Ausgrabungen in den Jahren 1929/31 zutage geförderten Funde untermauern dieses Attribut. Rund 80 Altäre, Weihesteine, Teile von Jupitersäulen und Architekturfragmente aus der Zeit zwischen dem 1. und 3. Jahrhundert n. Chr. wurden seinerzeit unweit des Standorts des alten Römerkastells freigelegt. Sie stammen aus dem zerstörten Vicus Altiaium und waren später in einem Gebäude des Kastells verbaut. Die römischen Baumeister und Handwerker bedienten sich damals des hellen Sandsteins aus den nahegelegenen Flonheimer Steinbrüchen.

Fast acht Jahrzehnte später, im Jahr 2003, kam es zu einem weiteren spektakulären Fund, der Alzey einmal mehr in den Fokus der Fachwelt rückte. Mit einem Magna Mater-Altar und Teilen eines Götterpfeilers wurden weitere bedeutende Zeugnisse der römischen Stadtgeschichte ausgegraben.

„Alzey hat dadurch einen großen Stellenwert in der Welt der römischen Archäologie erlangt“, ordnet Rainer Karneth die Bedeutung der Funde ein. „Der Fund aus 1929/31 ist mit einer der größten auf deutschem Boden.“ Zunächst wurden die Römersteine in einem Lagergebäude des ehemaligen Prinz-Emil-Komplexes ausgestellt. Danach wanderten sie ins Casinogebäude, in dem heute das Jugend- und Kulturzentrum beheimatet ist, bevor sie dann im bereits erwähnten Hinterhof-Gelass verschwanden.

Nun haben die Steine ein Domizil gefunden, in dem sie ihre Geschichte erzählen können. Eine Geschichte mit bemerkenswerten Kapiteln. Etwa der Erkenntnis, dass Alzey in der römischen Zeit ein  Kur- und Badeort gewesen ist. Grundlage des damals florierenden Kurbetriebs waren Quellen und Brunnen mit schwefelhaltigem Heilwasser. Das wurde in den Kuranlagen vom medizinischen Personal bei den Kurgästen angewendet. Es gab auch einen Tempelbezirk, wo man sich des Beistands der Heil- und Quellgottheiten versichern konnte.

Dass die Menschen in dieser Zeit diesen Beistand der Götter gerne erbaten, belegt ein Weihestein aus dem Jahr 175 n. Chr. Dieser Stein war vermutlich Bestandteil eines großen Tempels, den Martius Senopatius Novellus bauen ließ und der Apollo Grannus gewidmet ist. Das geht aus der Inschrift hervor. Offenbar hat die römisch-keltische Gottheit Novellus bei dessen Genesung besonders geholfen. Zum Dank ließ dieser dann den Tempel errichten. Hilfe gewährte aber auch die Heilgöttin Sirona, die in den keltisch geprägten Provinzen als Kultbegleiterin von Apollo Grannus in Erscheinung tritt. Beiden hatten die Alzeyer aus Dank ebenso Weihesteine gestiftet wie für Juno und die aus dem englischen Bath bekannte Dea Sulis, für die Nymphen und Apollo Demioncus.

Ein nicht unbedeutender Teil der ausgestellten Steine sind Teile von Jupitersäulen. Besonders reizvoll sind dabei die Darstellungen des römischen Hauptgotts als so genannter Gigantenreiter. Bärtig und mit wallendem Haupthaar reitet Jupiter über einen am Boden liegenden Giganten hinweg. Der besiegte Feind der Götter ist in der Skulptur aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. als Mischwesen mit menschlichem Körper und Schlangenbeinen dargestellt. Nicht nur an dieser Skulptur bleibt der Blick haften und es offenbaren sich bei näherem Hinsehen reizvolle Details. Man staunt und sieht sich in unvermittelt in die römische Mythologie  mit ihren Göttern und Ritualen versetzt.

„Was für uns heute wichtig ist, ist das Spektrum der Götter, die hier vertreten sind“, lenkt Museumsdirektor Karneth den Blick auf die Erkenntnisse für die Nachwelt, die sich aus den Steinen ablesen lassen. Ähnlich wie die in ihr ausgestellten Funde stößt die Steinhalle in der Fachwelt auf eine vielversprechende Resonanz. So steht etwa die Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz dem Projekt positiv gegenüber. Die Steinhalle soll zudem Teil der Römerroute Rheinhessen (www.roemerroute-rheinhessen.de) werden. „Alzey wird einer der Meilensteine dieser Route sein“, ist sich Rainer Karneth sicher.

Die in der Steinhalle gezeigte Sammlung römischer Fundstücke wird für die Besucher informativ präsentiert. Texttäfelchen geben Auskunft über das jeweilige Fundstück. Per QR-Code kann sich der Besucher auch digitale Informationsquellen erschließen. Größere Texttafeln an den Wänden liefern prägnant formuliertes Hintergrundwissen zur Römerzeit in Alzey und helfen den Besuchern, das Gesehene einzuordnen.

Auf einer Plattform im Obergeschoss der Steinhalle ist eine Multimedia-Station eingerichtet, bei der man an zwei Computermonitoren virtuell und interaktiv in die Welt der Römer eintauchen kann. Von hier hat man auch einen guten Überblick über den Ausstellungsraum. Zu dessen Ausstattung wird künftig auch ein besonderes multimediales Detail zählen: Eine „Sounddusche“ im Eingangsbereich. Wer darunter steht, erfährt Wissenswertes aus der Alzeyer Stadtgeschichte. Eingesprochen wurde dieser in Dauerschleife abgespielte Text vom Mainzer Schauspieler Tino Leo.

Mit der neuen Steinhalle hat die Volkerstadt eine über die Stadtgrenzen hinausstrahlende Attraktion gewonnen. Die Ausstellung vermittelt Einblicke in die Zeit, als die Römer mit ihrer Kultur die Region beherrschten. Wer auch über die anderen Epochen der Stadtgeschichte mehr erfahren möchte, der sollte unbedingt das mit der Steinhalle verbundene Stadtmuseum besuchen. Dessen Sammlung vermittelt – ebenfalls anschaulich aufbereitet – Einblicke in die bewegte Alzeyer Historie. Benutzerfreundlich. Denn wie die Steinhalle selbst, ist auch das Museum bei freiem Eintritt barrierefrei zu besichtigen. Ein Angebot, das es nicht überall gibt.  

Steinhalle und Museum der Stadt Alzey
Antoniterstraße 41
55232 Alzey
Tel.: 06731 49 88 96
Mail: museum@alzey.de
Internet: www.museum-alzey.de

Öffnungszeiten:
Mo – Fr 10 bis 12.30 u. 13.30 bis 16.30 Uhr
Sa, So und Feiertage 10 bis 12 und  14 bis 16.30 Uhr

Führungen:
Buchbar über die Tourist-Information, Tel.: 06731 49 93 64; Mail: touristinfo@alzey.de

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Verfasst von:

Geboren in Mainz, aufgewachsen in Oppenheim trage ich von Geburt an das Rheinhessen-Gen in mir. Als Redakteur der Allgemeinen Zeitung und Buchautor habe ich das Geschehen im Land der 1000 Hügel intensiv begleitet. Meine besondere Aufmerksamkeit gilt dem Wein, dem ich mich unter anderem als Host des VRM-Podcasts „Wein x 1“ widme. Foto: Sascha Kopp

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